Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 300
Der Arbeitgeber kann seinen Arbeitnehmern mehr bezahlen, als der Tarifvertrag vorsieht, etwa durch eine Zulage. Der Grund dafür kann sein, dass der Arbeitgeber einen Anreiz für besonders qualifizierte Arbeitnehmer setzen möchte, er eine engere Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen herbeiführen will oder er die tarifliche Vergütung aus anderen Gründen für unangemessen hält. Bei solchen Zulagen differenziert das BAG begrifflich zwischen übertariflichen und außertariflichen Zulagen. Eine "übertarifliche Zulage" ist eine Zulage, die über eine im Tarifvertrag vorgesehene Leistung hinausgeht; eine "außertarifliche Zulage" ist eine Zulage, die eine Leistung vorsieht, die es im Tarifvertrag nicht gibt.
Rz. 301
Bei Gewährung einer übertariflichen oder außertariflichen Zulage ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten. Dieses bezieht sich allerdings nicht darauf, ob und in welcher Höhe der Arbeitgeber Mittel für eine Zulage bereitstellt ("Dotierungsrahmen"), welcher Personenkreis begünstigt werden soll und welchen Zweck die Zulage verfolgen soll, sondern ausschließlich darauf, wie eine etwaige Zulage verteilt wird.
Rz. 302
Kommt es später zu Tariflohnerhöhungen, können diese auf die Zulage angerechnet werden. Solche tariflichen Lohnerhöhungen können auch durch Alterssprünge, Umgruppierungen und Arbeitszeitreduzierungen entstehen. Die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung kann ebenfalls unter das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG fallen. Wird die Tariflohnerhöhung aber vollständig und gleichmäßig auf alle Arbeitnehmer angerechnet oder zwar nicht vollständig, aber bei allen Arbeitnehmern gleichmäßig zu einem bestimmten Prozentsatz, so ist das mitbestimmungsfrei. Wurde in einem Beschlussverfahren ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine freiwillige Zulage rechtskräftig verneint, so hat diese Entscheidung eine präjudizielle Bindungswirkung für nachfolgende Individualverfahren, in denen ein auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gestützter Anspruch auf ungekürzte Zahlung einer übertariflichen Zulage geltend gemacht wird.
Rz. 303
Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG übt grundsätzlich der lokale Betriebsrat aus. Will der Arbeitgeber allerdings eine freiwillige Leistung einführen, darf er ihre Gewährung von einer überbetrieblichen Regelung abhängig machen und auf diese Weise die Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung herbeiführen.
Rz. 304
Die Betriebsvereinbarung über eine außer-/übertarifliche Zulage betrifft eine freiwillige Leistung. Deshalb gibt es bei Beendigung der Betriebsvereinbarung, weil die betreffenden Leistungen vollständig eingestellt werden sollen, grundsätzlich keine Nachwirkung. Allerdings muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat und/oder den begünstigten Mitarbeitern aus Gründen der Rechtsklarheit mitteilen, dass die Zulage ersatzlos entfällt, weil er dafür keine Mittel mehr bereitstellt. Anders liegen die Dinge, wenn der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung kündigt, weil er das Volumen reduzieren und den Verteilungsschlüssel ändern will. Dann wird die Nachwirkung der gesamten Betriebsvereinbarung bejaht.
Rz. 305
Bei der Gewährung einer außertariflichen/übertariflichen Zulage durch eine Betriebsvereinbarung ist die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten. Es wird allgemein wie folgt differenziert: Zulagen, welche ohne besondere Voraussetzungen das tarifliche Entgelt erhöhen, fallen regelmäßig unter § 77 Abs. 3 BetrVG. Dann bedarf es für eine Betriebsvereinbarung einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag. Dagegen ist bei Zulagen, welche tariflich nicht geregelte Sonderleistungen von Arbeitnehmern honorieren oder Sondertatbestände betreffen, § 77 Abs. 3 BetrVG regelmäßig nicht einschlägig.