Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
aa) Hintergrund und Bedeutung
Rz. 468
Ethikrichtlinien oder Verhaltenskodexe betreffen das Thema Compliance, also die Einhaltung und Befolgung sämtlicher für ein Unternehmen geltender Vorschriften. Ihre Bedeutung liegt auf der Hand, zumal Rechtsverstöße gravierende rechtliche und wirtschaftliche Folgen für Unternehmen haben können. Seit Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes sowie des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, die Unternehmen ab einer bestimmten Größe die Etablierung von Hinweisgebersystemen bzw. eines Beschwerdeverfahrens vorschreiben, haben Ethikrichtlinien oder Verhaltenskodexe noch einmal erheblich an Bedeutung gewonnen.
bb) Rechtliche Grundlagen
Rz. 469
In der Vergangenheit gab es in Deutschland – anders als etwa in den USA – nur vereinzelt gesetzliche Regelungen über die Einführung von Compliance-Richtlinien, etwa in den Aufsichtsvorschriften für die Finanzwirtschaft. Nach einer Entscheidung des LG München sollte allerdings – unabhängig von den Vorgaben des DCGK – aus den aktienrechtlichen Vorschriften eine Compliance-Pflicht des Vorstands folgen. Dieser habe im Rahmen seiner Legalitätspflicht dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt werde, dass keine Gesetzesverstöße erfolgten. Seiner Organisationspflicht genüge der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichte.
Rz. 470
Arbeitsrechtlich umsetzen lassen sich Ethikrichtlinien sowohl individualrechtlich qua Direktionsrecht oder arbeitsvertraglicher Regelung als auch kollektivrechtlich, insbesondere im Wege einer Betriebsvereinbarung. Die Beteiligung des Betriebsrats ist dabei unabhängig von der Art der Umsetzung unumgänglich, soweit die einzuführenden Richtlinien mitbestimmungspflichtig sind.
Praxistipp
Die Einführung von Ethikrichtlinien im Wege einer Betriebsvereinbarung kann aufwendige Verhandlungs- und Zustimmungsverfahren mit den einzelnen Beschäftigten vermeiden und ermöglicht im weiteren Verlauf auch anpassende bzw. ablösende Vereinbarungen mit nur einem Verhandlungspartner. Sie bietet zudem in den Grenzen des § 75 BetrVG eine gewisse Richtigkeitsgewähr. Allerdings gilt sie weder für Leitungsorgane noch für leitende Angestellte. In betriebsratslosen Unternehmen ist dagegen eine individualrechtliche Umsetzung zwingend.
cc) Beteiligung des Betriebsrats
Rz. 471
Ob und nach welcher Norm der Betriebsrat bei der Einführung von Ethikrichtlinien mitzubestimmen hat, ist im Hinblick auf jede einzelne Regelung gesondert zu beurteilen. Einschlägig ist regelmäßig § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Erfasst ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Beschäftigten in Abgrenzung zum Arbeitsverhalten, also solchen Vorgaben, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird. Soweit eine Ethikrichtlinie das Ordnungsverhalten der Beschäftigten betrifft, setzt das Mitbestimmungsrecht dabei nicht voraus, dass sie verbindliche Verhaltensregeln aufstellt. Ausreichend ist, dass eine Regelung darauf gerichtet ist, das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb zu steuern bzw. die Ordnung im Betrieb zu gewährleisten.
Rz. 472
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist einschlägig, soweit Regelungen einer Ethikrichtlinie den Einsatz technischer Mittel vorsehen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Mitbestimmungspflichtig sind daher insbesondere Regelungen, welche die Kontrolle von E-Mails, Datenbanken oder Festplatten der Beschäftigten erlauben. Als weiteres Mitbestimmungsrecht kommt § 94 BetrVG in Betracht, wenn Ethikrichtlinien bestimmte Arbeitnehmergruppen in Gestalt eines Personalfragebogens zur Auskunft auffordern. § 95 BetrVG ist einschlägig, wenn eine Ethikrichtlinie Vorgaben zur Einstellung von Beschäftigten macht.
Rz. 473
Kein Mitbestimmungsrecht besteht, wenn lediglich die Unternehmensphilosophie, insbesondere ethisch-moralische Wertvorstellungen, dargestellt oder lediglich Selbstverpflichtungen des Unternehmens benannt werden, ohne konkrete Verhaltensanforderungen an die Beschäftigten aufzust...