Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
aa) Allgemeines
Rz. 653
Das betriebliche Vorschlagswesen ist in § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG geregelt und zählt daher zur erzwingbaren Mitbestimmung. Es hat in der betrieblichen Praxis zunehmend Bedeutung. Im Jahre 2015 gingen ausweislich einer Befragung von 136 Unternehmen mit ca. 1,7 Mio. Arbeitnehmern ca. 1,056 Mio. Verbesserungsvorschläge ein, was zu Prämien von ca. 130 Mio. EUR (Prämiendurchschnitt 170 EUR) geführt haben soll. Im Jahre 2012 wurden 119 Mio. EUR ausgeschüttet bei durchschnittlich 74 EUR pro Prämie. Aktuellere Zahlen sind nicht vorhanden. Das Mitbestimmungsrecht dient der gerechten Bewertung der Vorschläge und damit jedenfalls mittelbar der Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer. Sie sollen durch ein betriebliches Vorschlagswesen zur Teilnahme an der Gestaltung und Entwicklung ihres Arbeitsplatzes motiviert werden. Prämien sind lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtig.
Rz. 654
Unter einem Verbesserungsvorschlag ist jede Anregung einzelner oder mehrerer Arbeitnehmer zu verstehen, welche nicht zum Bereich des vertraglich geschuldeten Leistungsumfanges des Vorschlagenden zählt, und zur Verbesserung gegenüber dem Ist-Zustand führt, wobei unerheblich ist, ob es sich insoweit um den kaufmännischen, technischen oder den Bereich der Zusammenarbeit untereinander handelt. In der Praxis ist insbesondere die Abgrenzung zu dem vertraglich geschuldeten Bereich problematisch. Ob sich der Verbesserungsvorschlag bloß auf den eigenen Aufgabenbereich des Arbeitnehmers erstreckt, dürfte unerheblich sein – entscheidend ist, ob eine arbeitsvertragliche Verpflichtung besteht, diejenigen Dinge zu entwickeln, die Gegenstand eines Verbesserungsvorschlages sind. Maßgeblich ist im Zweifel der Wortlaut der Prämienregelung.
Rz. 655
Erfindungen, die patent- oder gebrauchsmusterfähig sind, fallen nicht in den Regelungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG. Für sie gilt das Gesetz über Arbeitnehmererfindungen. Da es abschließende Regelungen enthält, ist in dessen Anwendungsbereich kein Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats. Eine Besonderheit gilt für technische Verbesserungsvorschläge (§ 3 ArbnErfG). Sind sie qualifiziert i.S.d. § 20 Abs. 1 ArbnErfG, besteht ein gesetzlicher Vergütungsanspruch, der wiederum das Mitbestimmungsrecht ausschließt, jedoch freiwillige Betriebsvereinbarungen nach § 88 BetrVG ermöglicht. Für einfache technische Verbesserungsvorschläge lässt § 20 Abs. 2 ArbnErfG eine Regelung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zu, sodass bei Fehlen einer abschließenden tarifvertraglichen Regelung ein Mitbestimmungsrecht in Betracht kommt. Für Verbesserungsvorschläge außerhalb des technischen Bereiches sieht das ArbnErfG keine Einschränkungen oder Sonderregelungen vor.
bb) Umfang der Mitbestimmung
Rz. 656
Dem Betriebsrat steht – anders als iRd BPersVG – ein Initiativrecht bei Einführung eines betrieblichen Vorschlagswesens zu, wobei kein Vorprüfungsrecht existiert, ob überhaupt ein Bedürfnis für die Schaffung eines betrieblichen Vorschlagswesens gegeben ist, sondern dies ggf. die Einigungsstelle im Rahmen der Zweckmäßigkeitsprüfung berücksichtigen muss, und auch die mit dem Initiativrecht verbundenen Folgekosten auf Arbeitgeberseite der Zuerkennung eines solchen Initiativrechts grundsätzlich nicht entgegenstehen. Zwar ist der Arbeitgeber im Einklang mit den Grundprinzipien der Betriebsverfassung über die Zurverfügungstellung freiwilliger Leistungen nicht verpflichtet, für ein betriebliches Vorschlagswesen Mittel zu gewähren. Dies ist freilich nicht praxisrelevant. Denn das BAG räumt Arbeitnehmern, deren Verbesserungsvorschlag vom Arbeitgeber zu dessen Vorteil verwertet wird, einen individuellen Vergütungsanspruch entsprechend § 612 BGB ein. Verbesserungsvorschläge gehören nämlich nicht zur vertraglich ges...