Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 1179
Bei der Abwicklung der Insolvenz sind gemäß §§ 53, 209 InsO vorweg erstrangig die Kosten des Insolvenzverfahrens und zweitrangig die sonstigen Masseverbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Im Unterschied zu den übrigen Forderungen der Gläubiger, den Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO, entstehen diese vorweg zu befriedigenden Masseverbindlichkeiten erst nach der Insolvenzeröffnung.
aa) Masseverbindlichkeiten
Rz. 1180
Lohn- und Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, soweit sie für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung geschuldet werden. Der Tag der Insolvenzeröffnung zählt dabei bereits mit. Es ist nicht erforderlich, dass der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung in der Zeit nach der Eröffnung als Gegenleistung für die Insolvenzmasse tatsächlich in Anspruch nimmt. Auch ein Arbeitnehmer, der vom Insolvenzverwalter von der Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt wird, behält seinen Entgeltanspruch aus Gründen des Annahmeverzuges (§§ 293 ff., 615 BGB). Zahlt der Insolvenzverwalter mangels Masse kein Gehalt und bezieht der freigestellte Arbeitnehmer in der Zeit nach der Insolvenzeröffnung Arbeitslosengeld als sog. Gleichwohlgewährung nach § 157 Abs. 3 S. 1 SGB III, ist der Differenzbetrag zu seinem Nettoentgelt bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gleichfalls eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen, die der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung neu begründet, sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Auch Anwartschaften der betrieblichen Altersversorgung, die nach Insolvenzeröffnung entstanden sind, stellen eine solche Masseverbindlichkeit dar. Allerdings kann der Insolvenzverwalter diese ohne Zustimmung des Arbeitnehmers nach § 3 Abs. 4 BetrAVG abfinden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wird. Die Anmeldung einer Masseverbindlichkeit zur Insolvenztabelle wahrt eine tarifliche Ausschlussfrist in Bezug auf das Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung.
Rz. 1181
Entgeltansprüche während der Freistellungsphase bei Altersteilzeit im Blockmodell sind Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO, wenn die Arbeitsphase vor der Insolvenzeröffnung lag. Fällt die Arbeitsphase aber in die Zeit nach der Insolvenzeröffnung, sind die Arbeitnehmeransprüche Masseverbindlichkeiten. Bei Sonderzuwendungen und erfolgsabhängigen Vergütungen wird nicht auf die Fälligkeit, sondern darauf abgestellt, in welchem Zeitraum der mit der Zuwendung vergütete Dienst geleistet bzw. auf welchen Zeitraum die Zuwendung bezogen ist. Nur der Teil, der auf die Zeit nach der Eröffnung entfällt, ist eine Masseverbindlichkeit. Gleiches gilt bei einer Stichtagsregelung. Stellt die Sonderzuwendung eine Belohnung für die Betriebstreue dar und ist der Anspruch erst nach Insolvenzeröffnung fällig, ist die gesamte Sonderzuwendung eine Masseverbindlichkeit. Es kommt also auf die konkrete Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen im Einzelfall an. Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche sind grds. Masseforderungen, auch soweit sie aus dem Kalenderjahr vor der Insolvenzeröffnung stammen. Der Anspruch auf Urlaubsentgelt ist dem Zeitraum vor oder nach der Insolvenzeröffnung zuzuordnen, in dem der Urlaub tatsächlich genommen wird. Wurde der Arbeitnehmer allerdings vom Insolvenzverwalter unwiderruflich unter Anrechnung auf bestehende Urlaubsansprüche freigestellt, begründet das keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 209 Abs. 2 InsO. Beim Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist auf den Beendigungszeitpunkt abzustellen. Endet das Arbeitsverhältnis vor der Insolvenzeröffnung, ist der Urlaubsabgeltungsanspruch eine Insolvenzforderung. Endet es danach, ist der Abgeltungsanspruch Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO). Dabei ist unerheblich, ob die Zeit nach Insolvenzeröffnung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgereicht hätte, den Urlaubsanspruch durch Freistellung von der Arbeitspflicht zu erfüllen. Nimmt der starke vorläufige Insolvenzverwalter oder der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Arbeitsleistung in Anspruch, sind die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Urlaubsvergütung und auf Abgeltung des Urlaubs uneingeschränkt als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 S. 2 InsO) bzw. als Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO) zu berichtigen, wenn der Urlaub innerhalb dieses Zeitraums gewährt wird bzw. das Arbeitsverhältnis endet. Der 9. Senat hält insoweit nicht mehr an seiner früheren entgegenstehenden Auffassung der lediglich quotalen Berücksichtigung fest. Auch der Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld ist eine Masseverbindlichkeit. Ein vor der Eröffnung begründeter vertraglicher Abfindungsanspruch ist eine Insolvenzforderung. Bei einer ge...