Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
I. Das Arbeitsverhältnis in der Insolvenz
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 1091
Die A-GmbH mit 50 Arbeitnehmern und einem gebildeten Betriebsrat hat seit Monaten wirtschaftliche Probleme. Mitte April 2020 stellt der Geschäftsführer mit seinen rechtlichen Beratern fest, dass die Gesellschaft sowohl ausweislich ihrer Bilanz überschuldet als auch zahlungsunfähig ist. Vereinzelt hat der Geschäftsführer bereits im März und April 2020 Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern gekündigt und diese freigestellt. Drei Arbeitnehmer haben beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung erhoben. Seit Anfang 2020 wurden die Gehälter an alle Arbeitnehmer verspätet gezahlt. Die März-2020-Gehälter wurden gar nicht mehr ausgezahlt. Am 15.4.2020 stellt der Geschäftsführer beim Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A-GmbH. Am 16.4.2020 wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und am 29.5.2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. Alle Arbeitnehmer der A-GmbH sind bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren verunsichert, da sie nicht wissen, was mit ihren Arbeitsverhältnissen passiert.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 1092
Der Gesetzgeber hat mit der am 1.1.1999 umfassend in Kraft getretenen Insolvenzordnung ein einheitliches Insolvenzverfahren geschaffen. Die Gläubiger werden durch ein geregeltes und vom Insolvenzgericht überwachtes Verfahren gleichmäßig befriedigt. Wegen einer besseren Verteilungsgerechtigkeit und akzeptableren Quoten für alle Gläubiger gibt es im Insolvenzverfahren – anders als früher durch die Regelungen in der Konkursordnung – keine bevorrechtigten Gläubigergruppen mehr. Rückständiges Arbeitsentgelt ist als einfache Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden, so dass den Arbeitnehmern darüber ein Stimmrecht in der Gläubigerversammlung zukommt. Es gibt jedoch kein besonderes Arbeitsrecht der Insolvenz.
a) Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Insolvenz
Rz. 1093
Die Insolvenz des Arbeitgebers hat auf die Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Vorschriften, wie beispielsweise den Kündigungsschutz und die Geltung des § 613a BGB sowie auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses, grundsätzlich keine Auswirkungen (§ 108 Abs. 1 S. 1 InsO). Prinzipiell soll auch in der Insolvenz der Schutz der Arbeitnehmer durch zwingendes Arbeitsrecht erhalten bleiben. Die Interessen der Arbeitnehmer stehen lediglich dort zurück, wo der Gesetzgeber den Interessen der anderen Insolvenzgläubiger ausdrücklich Vorrang eingeräumt hat, so z.B. in den Vorschriften §§ 113, 120–122 und 125–128 InsO.
aa) Arbeitgeberstellung in der Insolvenz
Rz. 1094
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht und damit auch die Arbeitgeberstellung kraft Gesetzes vom Gemeinschuldner auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Voraussetzung dafür ist, dass das Arbeitsverhältnis zum Eröffnungszeitpunkt noch fortbesteht. Der Gemeinschuldner behält nur ausnahmsweise bei Anordnung der Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Sachwalters weitgehend die Arbeitgeberstellung.
(1) Vorläufiger Insolvenzverwalter vor der Insolvenzeröffnung
Rz. 1095
Im Insolvenzeröffnungsverfahren, also nach Antr...