Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 550
Verantwortlich für die betriebliche Gesundheitspolitik ist der Arbeitgeber. Die Mitbestimmung des Betriebsrates ändert nichts an der verwaltungsrechtlichen und privatrechtlichen alleinigen Verantwortung des Arbeitgebers. Er ist aufgrund der gesetzlichen Vorschriften verpflichtet, innerbetrieblich die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird (§ 4 Nr. 1 ArbSchG). Die Verletzung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Gesundheitsschutz ist straf- und bußgeldbewehrt (§§ 25, 26 ArbSchG i.V.m. den Verordnungen zu § 18, 19 ArbSchG).
Rz. 551
Durch § 618 Abs. 1 BGB werden die öffentlich-rechtlicher Arbeitsschutzvorschriften in privatrechtliche Pflichten der Vertragsparteien transformiert. Ihren Grund findet die Transformation in der gesteigerten Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers gegenüber den Beschäftigten, da diese ihre Arbeit innerhalb der vom Arbeitgeber geprägten Organisation erbringen und hier einer Gefahrenlage ausgesetzt sind, die sich i.d.R. ihrer steuernden Einflussnahme entzieht. Widersprechen die Arbeitsbedingungen den Vorschriften über den Arbeitsschutz, haben die Beschäftigten ein Leistungsverweigerungsrecht.
Rz. 552
Das Verhältnis zwischen Arbeitsvertragsrecht und Betriebsverfassungsrecht hat das BAG im Urt. v. 12.8.2008 dargestellt: Der einzelne Arbeitnehmer hat aus § 618 BGB einen Anspruch darauf, dass bezogen auf seinen Arbeitsplatz und seine Tätigkeit eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird. § 5 Abs. 1 ArbSchG räumt dem Arbeitgeber bei dieser Beurteilung einen Spielraum ein. Der Betriebsrat hat bei dessen Ausfüllung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Der einzelne Arbeitnehmer kann deshalb nicht verlangen, dass die Gefährdungsbeurteilung nach bestimmten von ihm vorgegebenen Kriterien durchgeführt wird.
Rz. 553
Die Beteiligung des Betriebsrates an der Umsetzung der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften realisiert die unionsrechtlich hervorgehobene notwendige Partizipation der Beschäftigten am betrieblichen Gesundheitsschutz. Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.
Rz. 554
Die gesetzlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers realisieren die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, weil dieser Schutz wegen des ungleichen Kräftegleichgewichtes der Arbeitsvertragsparteien privatautonom nicht gewährleistet werden kann.
Rz. 555
Es gibt in jedem Betrieb Stellen, die sich mit dem Thema Gesundheit befassen. Anzustreben ist ein organisiertes betriebliches Gesundheitsmanagement aller gesundheitsbezogenen Aktivitäten im Betrieb. Es lassen sich drei Säulen unterscheiden:
1. |
Der öffentlich-rechtliche Arbeits- und Gesundheitsschutz. |
2. |
Die betriebliche Gesundheitsförderung als ein System von Maßnahmen, die den gesetzlichen Arbeitsschutz ergänzen sollen und die von den Krankenversicherungen (nach §§ 20a, 20b, 20c SGB V) und der gesetzlichen Unfallversicherung (nach § 14 SGB VII) zu unterstützen sind. |
3. |
Das integrierte Management, das implizit das Gesundheitsthema in alle Aspekte und Überlegungen des Managements im Sinne einer Querschnittsaufgabe einbezieht (Human Resource Management). |
Rz. 556
Die gesetzlichen Vorschriften, die ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates auslösen können, finden sich in der 1. Säule. Sie müssen unmittelbar oder mittelbar dem Gesundheitsschutz dienen, Handlungspflichten des Arbeitgebers begründen, deren Umsetzung auf unterschiedliche Art und Weise möglich ist. Die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrates betrifft das "Wie" der Umsetzung dieser Handlungspflichten. Daneben sind eine Vielzahl von Fragen, insbesondere der präventiven Verhaltensprävention, durch freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG regelbar.