Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 1091
Die normative Geltung von Betriebsvereinbarungen gem. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG bleibt auch nach der Umwandlung grundsätzlich bestehen, da diese nur die Unternehmensebene und nicht die Betriebsebene tangiert. Insofern fehlt es am Einfluss auf die für die Betriebsvereinbarung maßgebliche betriebliche Einheit. Bedeutung für Betriebsvereinbarungen erlangt die Umwandlung erst, wenn mit ihrem Vollzug zugleich Änderungen der betrieblichen Strukturen erfolgen, die sich auf den Fortbestand der betrieblichen Identität und damit auf die Geltungsgrundlage der Betriebsvereinbarungen auswirken. In diesen Fällen finden über § 35a Abs. 2 (§ 324 a.F.) UmwG grundsätzlich die Regelungen aus § 613a Abs. 1 S. 2 und 4 BGB Anwendung, die lediglich eine individualrechtliche Fortgeltung vorsehen. Dieses gesetzliche Regelwerk ist allerdings durch die Rechtsprechung des BAG zunehmend in Frage gestellt worden. Hiernach sollen Betriebsvereinbarungen sogar im Fall einer Übertragung von Betriebsteilen bei dem neuen Inhaber als Kollektivrecht fortgelten, wenn dieser den übertragenen Betriebsteil als betriebsverfassungsrechtlich selbstständigen Betrieb weiterführt. Entsprechendes dürfte – bspw. im Fall der Abspaltung – für den beim übertragenden Unternehmen verbleibenden "Rumpfbetrieb" gelten, sofern dieser weiterhin betriebsratsfähig bleibt und eigenständig weitergeführt wird. Im Kollisionsfall wird nach Auffassung des BAG und der herrschenden Auffassung in der Literatur eine kollektivrechtlich fortgeltende Betriebsvereinbarung des übertragenden Rechtsträgers durch eine einschlägige Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung des übernehmenden Rechtsträgers verdrängt, was zugleich eine individualrechtliche Geltung ausschließt.
Eine normative Weitergeltung kommt nach der Rechtsprechung des BAG auch bei Gesamtbetriebsvereinbarungen in Betracht, wenn die Betriebsidentität gewahrt bleibt oder ein übernommener Betriebsteil als selbstständiger Betrieb weitergeführt wird. Dabei differenziert das BAG hinsichtlich der Art, in der die Gesamtbetriebsvereinbarung fortgilt: War der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung kraft Beauftragung nach § 50 Abs. 2 BetrVG zuständig, so gilt die Vereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung weiter, da es sich von vornherein rechtlich um eine Einzelbetriebsvereinbarung gehandelt hat. Bestand hingegen eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates nach § 50 Abs. 1 BetrVG, unterscheidet das BAG weiter danach, ob ein einzelner Betrieb oder eine Mehrheit von Betrieben übergeht: Übernimmt der Erwerber eine gesamtbetriebsratsfähige Mehrheit von Betrieben, so soll die Vereinbarung grundsätzlich als Gesamtbetriebsvereinbarung weitergelten. Bei Übergang eines einzelnen Betriebes soll in diesem Fall die Betriebsvereinbarung hingegen als Einzelbetriebsvereinbarung fortgelten. Kommt es zu einer Normenkonkurrenz mit einer beim aufnehmenden Rechtsträger geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung, ist umstritten, inwieweit die Gesamtbetriebsvereinbarung des übertragenden Rechtsträgers fort gilt. Konsequenterweise dürfte in diesem Fall die beim aufnehmenden Rechtsträger bestehende Regelung vorrangig sein.
Konzernbetriebsvereinbarungen können als solche nur normativ weitergelten, wenn das Unternehmen nach der Umwandlung noch zu demselben Konzern gehört. Bei einem Ausscheiden aus dem Konzern wendet das BAG allerdings die für Gesamtbetriebsvereinbarungen entwickelten Grundsätze entsprechend an: Führt das aus dem Konzern ausscheidende Unternehmen mehrere Betriebe, gilt in diesen die Konzernbetriebsvereinbarung als Gesamtbetriebsvereinbarung fort. Unterhält es nur einen Betrieb, gilt die Konzernbetriebsvereinbarung dort als Einzelbetriebsvereinbarung normativ weiter.