Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 8
Kern der Betriebsvereinbarung ist immer der jeweilige Regelungsgegenstand, der sich an dem Mitbestimmungstatbestand aus dem Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG oder anderer Mitbestimmungstatbestände und den dazu von den Betriebsparteien getroffenen Festlegungen ergibt. Neben diesen erzwingbaren Betriebsvereinbarungen können freiwillige Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden, wie § 88 BetrVG verdeutlicht. Diese können – anders als sonst – nicht über die Einigungsstelle erzwungen werden. Immer ist Wert auf eine klare Struktur und Gliederung zu legen.
Hinweis
Für die Wirksamkeit insbesondere im Bereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG ist im Hinblick auf die normative Wirkung nach § 77 Abs. 4 BetrVG erforderlich, dass die Regelungen dem für Rechtsnormen geltenden Bestimmtheitsgrundsatz genügen, damit der normunterworfene Arbeitnehmer die sich aus der Betriebsvereinbarung folgenden Rechte und Pflichten zuverlässig erkennen kann (Grundsatz der Normenklarheit).
Grenzen der Regelungsbefugnis ergeben sich aus den Gesetzen: Betriebsvereinbarungen dürfen nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer gegen höherrangiges Recht verstoßen, es sei denn, das Gesetz oder der auf den Betrieb anwendbare Tarifvertrag lassen dies durch eine Öffnungsklausel ausdrücklich zu (wie z.B. in § 7 Abs. 1 bzw. Abs. 3 S. 1 ArbZG für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber). Betriebsvereinbarungen unterliegen zudem einer Rechtskontrolle anhand der Maßstäbe des § 75 Abs. 1 BetrVG. Insbesondere sind sie am Maßstab des Schutzes des Arbeitnehmerpersönlichkeitsrechts (§ 75 Abs. 2 BetrVG) zu messen.
Arbeitsentgelte und sonstige materielle Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (§ 77 Abs. 3 BetrVG). Das gilt auch, wenn die Betriebsvereinbarung günstiger ist oder nur Nichttarifgebundene betroffen sind. Ausnahmen gelten nur bei einer entsprechenden Öffnungsklausel im Tarifvertrag (§ 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG).
Hinweis
Im Bereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat dann kein Mitbestimmungsrecht und es ermangelt der Regelungskompetenz der Betriebsparteien, wenn und soweit eine (abschließende) gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung besteht (sog. Vorrrangtheorie). Die Üblichkeit der Regelung genügt nicht.
In individualvertragliche Ansprüche von Arbeitnehmern kann wegen des Günstigkeitsprinzips nicht eingegriffen werden, sofern der Arbeitsvertrag dies nicht konkludent oder ausdrücklich zulässt (sog. Betriebsvereinbarungsöffnungsklausel). Aktuell besteht große Unsicherheit darüber, wann die Voraussetzungen einer betriebsvereinbarungsoffenen Vertragsgestaltung vorliegen. Der 1. Senat des BAG hatte 2013 postuliert, dass eine konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit schon dann anzunehmen sei, wenn der Gegenstand in AGB mit "kollektivem Bezug" geregelt ist. Diesem Ansatz haben sich im Folgenden der 3., 5. und der 6. Senat angeschlossen. Erkennbares Anliegen der Senate ist der Schutz der kollektiven Ordnung und die Wahrung kollektiver Gestaltungsspielräume. Diametral dazu verhält sich die Rechtsprechungslinie des 4. Senats. Dieser nahm die in der Literatur geäußerte Kritik an der so verstandenen Betriebsvereinbarungsoffenheit auf und übte seinerseits obiter massive Kritik. Die geäußerte Kritik überzeugt auf voller Linie. Die Annahme, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer den ungeschriebenen Vorbehalt der kollektiven Abänderbarkeit erkennen könne, überzeugt nicht. Dieser Auslegungstopos ist im Ergebnis weder mit den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre noch mit dem geltenden AGB-Recht vereinbar. Die Figur erinnert an die überkommene Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede im Rahmen kleiner dynamischer Bezugnahmeklauseln. Letztlich entwertet der 1. Senat durch die Abänderlichkeit der Arbeitsbedingungen den Arbeitsvertrag und den individualvertraglichen Kündigungsschutz. Da die weitere Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung offen ist, bietet die ausdrückliche Vereinbarung eine Betriebsvereinbarungsöffnungsklausel den einzig rechtsicheren Weg.
Hinweis
Eine entsprechende Klausel lässt sich wie folgt formulieren:
"Die in diesem Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarungen stehen unter dem Vorbehalt einer Ablösung durch Betriebsvereinbarung. Der Ablösung steht es nicht entgegen, dass die individualvertraglichen Regelungen, einschließlich etwaiger Ansprüche aus betrieblicher Übung, für den Arbeitnehmer günstiger sind."