Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 467
Ethikrichtlinien sind naturgemäß unternehmensspezifisch. In besonders regulierten Wirtschaftsbereichen werden häufig die jeweils einschlägigen gesetzlichen Vorgaben in Ethikrichtlinien aufgenommen. Im Übrigen gibt es (branchenunabhängig) eine große Bandbreite von möglichen Regelungsgegenständen, die vom Verbot der Annahme von Geschenken, dem Verbot von Alkohol- und Drogeneinnahme am Arbeitsplatz über den Umgang mit Medienanfragen bis hin zur Nutzung von IT-Einrichtungen reichen. Neben den eigentlichen Wohlverhaltensregeln finden sich in der Regel auch Sanktionen und Verfahrensvorschriften für den Fall von Verstößen. Soweit individualarbeitsrechtliche Maßnahmen wie beispielsweise Abmahnung oder Kündigung angedroht werden, handelt es sich letztlich nur um Hinweise auf die gesetzlich möglichen Sanktionen, die als solche – anders als Sanktionen, die den Charakter einer Betriebsbuße haben – auch nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.
Rz. 468
Einleitend werden – obwohl nicht mitbestimmungspflichtig – häufig allgemeine ethische Grundeinstellungen des Unternehmens dargestellt wie beispielsweise Gleichberechtigung, Toleranz, Unparteilichkeit, Einhaltung international anerkannter (Menschenrechts)Standards, Qualitätsbewusstsein, Integrität, Transparenz oder Kollegialität.
Rz. 469
Regelmäßig finden sich zudem Verbote von Benachteiligungen und Belästigungen. Selbst wenn diese nicht über den Wortlaut des AGG hinausgehen, liegt darin nicht lediglich eine deklaratorische Aufzählung gesetzlicher Pflichten, denn gleichzeitig kann der Arbeitgeber damit der in § 12 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AGG normierten Pflicht zur Ergreifung präventiver Maßnahmen gegen Benachteiligungen im Sinne des AGG nachkommen bzw. sich durch die Implementation von Ethikrichtlinien ggf. gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 AGG exkulpieren. Den Betriebsparteien steht es dabei frei, auch solche Verhaltensweisen als unerwünscht zu kennzeichnen, die unterhalb der im AGG aufgestellten Schwelle für Belästigungen und Benachteiligungen liegen.
Rz. 470
Oftmals wichtiger Bestandteil von Ethikrichtlinien sind sog. Whistleblower-Klauseln. Es handelt sich um Regelungen, die den Arbeitnehmern vorgeben, dass und in welcher Weise ihnen zur Kenntnis gelangte Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften und/oder Verstöße gegen sonstige Bestimmungen der Ethikrichtlinie an den Arbeitgeber heranzutragen sind. Unterschieden wird allgemein zwischen dem internen und dem externen Whistleblowing. Internes Whistleblowing betrifft die Offenlegung gegenüber einer unternehmensinternen Stelle (Vorgesetzte, innerbetriebliche Beschwerdestelle, Betriebsrat etc.) oder einem vom Unternehmen hierfür beauftragten Dritten (Dienstleister, Ombudsmann, Vertrauensanwalt etc.). Externes Whistleblowing bezeichnet demgegenüber die Offenlegung von Missständen gegenüber Behörden, der Staatsanwaltschaft oder den Medien. Ethikrichtlinien beziehen sich in der Regel auf das interne Whistleblowing und legen insoweit fest, welche Art von Regelverstößen unter Einhaltung bestimmter Verfahrensvorgaben offenzulegen sind.
Rz. 471
Üblicherweise werden über die bloße abstrakte Hinweispflicht hinaus Verfahrensvorschriften zum Whistleblowing geregelt, im Rahmen derer der Whistleblower das eigene oder das (potentielle) Fehlverhalten eines Kollegen mitteilen soll. Konkret: Wem kann ein Verstoß über welches Kommunikationsmittel ggf. anonym gemeldet werden, wie wird der Schutz des Meldenden gewährleistet? Eine solche Koordinierung interner Abläufe betrifft die betriebliche Ordnung und ist damit – im Gegensatz zur Konkretisierung der Mitteilungspflicht an sich – gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig.
Rz. 472
Bislang gibt es im deutschen Recht keine gesetzliche Pflicht für Unternehmen zur Einführung eines Whistleblowing-Systems. Auch spezielle Regelungen zu Voraussetzungen und Folgen von (unterlassenem) Whistleblowing in individualarbeitsrechtlicher Hinsicht fehlen. Unter welchen Voraussetzungen und wem gegenüber ein Arbeitnehmer ihm zur Kenntnis gelangte Missstände offenlegen darf bzw. muss, ist daher bislang eine Frage der Reichweite der Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Eine Hinweispflicht nimmt das BAG bei Kenntnissen von solchen Mängeln an, die den eigenen Aufgaben- und Verantwortungsbereich betreffen, eine gewisse Relevanz aufweisen und bezüglich derer eine Wiederholungsgefahr besteht. Andererseits ist sowohl das externe als auch das interne Whistleblowing nicht uneingeschränkt zulässig. Das unternehmensinterne "Anschwärzen" von Kollegen oder Vorgesetzten kann – soweit nicht eine Berechtigung oder gar Verpflichtung zur Offenbarung besteht – im Falle einer dadurch eintretenden Störung des Betriebsfriedens eine erhebliche, zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung darstellen.
Rz. 473
Die Rechtslage wird sich aufgrund der im Oktober 2019 verabschiedeten Whistleblowing-Richtlinie ändern. Die...