Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 493
Gemäß § 167 Abs. 2 S. 6 und 7 SGB IX können die zuständige Interessenvertretung – in der Regel der (lokale) Betriebsrat, bei schwer behinderten Menschen zudem die Schwerbehindertenvertretung – die Klärung bezüglich des BEM verlangen. Außerdem haben diese Gremien darüber zu wachen, dass arbeitgeberseitig die gesetzlich obliegenden Verpflichtungen erfüllt werden. Hieraus ist jedoch kein Mitbestimmungsrecht abzuleiten, es handelt sich hier nur um die Mitwirkungsrechte die der Rechtskontrolle dienen.
Rz. 494
Ob und inwieweit dem Betriebsrat im Rahmen des BEM sonstige Mitbestimmungsrechte zustehen, ist umstritten. Sofern der Arbeitgeber jeden Einzelfall im Anwendungsbereich des § 167 Abs. 2 SGB IX individuell behandelt, fehlt es an einem kollektiven Tatbestand, so dass Mitbestimmungsrechte nicht bestehen. Sofern der Arbeitgeber ein formalisiertes, abstrakt-generelle Regelungen enthaltendes Eingliederungsmanagement einführt, sind Mitbestimmungsrechte zu prüfen:
(1) Mitbestimmungsrechte gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG
Rz. 495
§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG setzt voraus, dass das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer durch Regelungen des Arbeitgebers betroffen ist. Mit der Einführung eines BEM wird den Arbeitnehmern aber weder ein bestimmtes Verhalten abverlangt, noch besteht ein Bezug zur betrieblichen Ordnung. Es geht um die Leistungsfähigkeit einzelner Arbeitnehmer zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung und nicht um die Festlegung allgemeiner Verhaltensregeln. Auch wird durch das BEM für sich genommen nichts geregelt. Ob hier die Entscheidung des BAG zum Mitbestimmungsrecht bei formalisierten Krankengesprächen zur Anwendung kommt, ist zu prüfen. In dem zu entscheidenden Sachverhalt hatte das BAG ein Mitbestimmungsrecht angenommen, weil die Arbeitnehmer seitens des Arbeitgebers dazu aufgefordert wurden, an der Aufklärung hinsichtlich der krankheitsbedingten Fehlzeiten mitzuwirken. Das BAG hat dazu ausgeführt, dass die Arbeitnehmer bei dieser Mitwirkung eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht erfüllen würden. Deshalb sei dieser Bereich dem Ordnungsverhalten zuzurechnen, woraus ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG folge. Hinsichtlich der Durchführung des BEM ist dieser Gedanke so allerdings nicht übertragbar, weil eine Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers im Sinne einer echten Rechtspflicht nicht besteht, denn das gesamte Verfahren im Rahmen des BEM ist durch den Grundsatz der Freiwilligkeit dominiert und den Arbeitnehmer trifft gerade keine Pflicht zur Aufklärung oder Mitwirkung an der Aufklärung hinsichtlich seiner Krankheit. Zudem wird das BEM im Interesse des Arbeitnehmers durchgeführt, da ist es schließlich um den Erhalt des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers geht. Insofern ist die Entscheidung zu den formalisierten Krankengesprächen aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage nicht anwendbar.
(2) Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
Rz. 496
Sofern ein Arbeitgeber ein EDV-System zur Erfassung der Arbeitsunfähigkeitszeiten einführt, besteht ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Im Hinblick darauf, dass in den meisten Betrieben ein entsprechendes System mit Zustimmung des Betriebsrates installiert sein dürfte, ist auf dieses Mitbestimmungsrecht im Rahmen der Durchführung des BEM nicht näher einzugehen. Das BAG hat in seinem Beschluss vom 13.03.2102 noch einmal bestätigt, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Nutzung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten gegeben ist.
(3) Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG
Rz. 497
Der Betriebsrat hat bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften mitzubestimmen. Dieses Mitbestimmungsrecht dient sowohl dem Schutz der Gesundheit als auch des Lebens am Arbeitsplatz. Die Beschäftigten sollen im Betrieb keinerlei Gefährdungen ausgesetzt werden. Nach dem Sinn und Zweck ist diese Vorschrift nicht auf das BEM anzuwenden, da es einen ganz anderen Zweck verfolgte. Mit dem BEM soll nämlich zum einen geklärt werden, ob und durch welche Maßnahmen eine erneute Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vermieden werden kann, und zum anderen, ob und durch welche Maßnahmen der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Da es sich hierbei um eine individuelle Maßnahme handelt, greift das Mitbestimmungsrecht in diesem Fall noch nicht. Darauf hinzuweisen ist jedoch, dass das BEM im Einzelfall durchaus eine Notwendigkeit zur Handlung beim betrieblichen Gesundheitsschutz aufdecken kann, weil die Erkrankung möglicherweise auf betriebliche Ursachen zurückzuführen ist. In einem derartigen Fall würde dabei das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG greifen, nicht jedoch bereits bei der Durchführung des BEM.
Rz. 498
Das BAG hat in seinem Beschluss vom ...