Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 751
Der BR ist nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG "vor jeder Kündigung" anzuhören, also vor dem Zugang der Kündigungserklärung; es kommt daher nicht darauf an, wann das Kündigungsschreiben ausgefertigt oder rechtsverbindlich unterschrieben wird. Eine Kündigung ist schon dann ohne Anhörung des BR im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG ausgesprochen, wenn der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen bereits vor der Stellungnahme des BR oder vor dem Ablauf der in § 102 Abs. 2 BetrVG festgelegten Frist verwirklicht und die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer erklärt. Daher muss das Anhörungsverfahren vollständig abgeschlossen sein, bevor die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt. Letzteres ist noch nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben bereits am letzten Tag der Äußerungsfrist bei Dienstschluss einem Kurierdienst übergeben und gleichzeitig für eine so späte Zustellung gesorgt hat, dass er sie noch verhindern kann, falls der BR wider Erwarten doch zu der Kündigungsabsicht Stellung nimmt. Vom Abschluss der Anhörung kann der Arbeitgeber erst dann ausgehen, wenn der BR eine Erklärung abgegeben hat, aus der sich ergibt, dass dieser keine weitere Erörterung des Falles wünscht, es sich also um seine abschließende Stellungnahme handelt. Dies kann auch schon vor Ablauf der Wochenfrist der Fall sein, wenn der BR ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, dass die Anhörung abgeschlossen ist. Anspruch auf eine vorzeitige Stellungnahme des BR hat der Arbeitgeber allerdings nicht und zwar auch dann nicht, wenn ihm die Versäumung einer Frist (etwa der des § 626 Abs. 2 BGB oder einer Quartalskündigungsfrist) droht, selbst dann nicht, wenn der BR über die Kündigung bereits in einer Sitzung befunden hat.
Rz. 752
Im Falle einer erneuten Kündigung ist zu beachten, dass die Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich nur Wirkung für das Verfahren entfaltet, für das sie eingeleitet worden ist; das in der Kündigung liegende Gestaltungsrecht und die damit im Zusammenhang stehende BR-Anhörung ist mit dem Zugang der Kündigungserklärung verbraucht. Auch eine Wiederholungskündigung bedarf damit der erneuten Anhörung. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt stützt und insbesondere auch bei einer vorsorglichen weiteren Kündigung wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten. Als neue Kündigung gilt auch die Wiederholung einer zunächst von einem Vertreter ausgesprochenen Kündigung durch den Vertretenen. Sind hingegen lediglich mehrere Zustellversuche notwendig, bedarf es keiner erneuten Anhörung.
Eine nachträgliche Anhörung zu einer bereits erklärten Kündigung ist dagegen nicht möglich, selbst wenn der BR der Kündigung ausdrücklich zustimmt. Die nachträglich erfolgte Anhörung kann auch nicht etwa das Anhörungsverfahren für eine danach auszusprechende Kündigung ersetzen.