Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 1033
Die X-Gesellschaft möchte einen ihrer Geschäftsbereiche an den Standorten A, B und C ausgliedern. An den Teilbetrieben ist die Y-Gesellschaft interessiert. Im Wege der Spaltung werden die Teilbetriebe durch Gesamtrechtsnachfolge auf die neu zu gründende Tochtergesellschaft Z übertragen. Zeitgleich erfolgt eine Spaltung der Betriebe in A, B und C nach § 111 Nr. 3 BetrVG. Die Teilbetriebe werden zu einem Betrieb der Z-Gesellschaft zusammengefasst. Anschließend werden die Anteile der X-Gesellschaft an der Z-Gesellschaft von der Y-Gesellschaft im Wege eines Sharedeals übernommen. Die Z-Gesellschaft verpflichtet sich eine Tarifbindung herzustellen. Freiwillige Sozialleistungen der X-Gesellschaft sollen hingegen teilweise eingestellt werden.
2. Rechtliche Grundlagen
a) Vorliegen eines Betriebs-/Betriebsteilübergangs
Rz. 1034
Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang liegt gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht.
Dies ist anzunehmen, wenn eine so genannte wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität vom neuen Inhaber weitergeführt oder wieder aufgenommen wird. Bis zur Rechtssache "Klarenberg" war hierzu ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten Gesamtheit "Betrieb bzw. Betriebsteil" beim neuen Inhaber erforderlich. Nach dem Urteil des EuGH vom 12.2.2009 ist eine fortbestehende organisatorische Selbstständigkeit nicht mehr zwingend erforderlich; schon "eine funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren" beim Erwerber soll ausreichen. Auch wenn das BAG inzwischen klargestellt hat, dass es ausreicht, wenn unmittelbar nach dem Übergang die bisherige Grundtätigkeit weiter überwiegt, fehlen nach wie vor eindeutige Anhaltspunkte, wann von einer funktionellen Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren auszugehen ist. Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BAG und des EuGH vor der Prüfung, ob beim Erwerber eine funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren besteht, zunächst sorgfältig zu bestimmen, (i) ob die zu veräußernden Produktionsfaktoren überhaupt einen Betrieb(-steil) beim Veräußerer darstellen, wofür eine beim Veräußerer bestehende funktionelle Verknüpfung von Produktionsfaktoren nicht genüge, und (ii) ob ein bestimmter Arbeitnehmer diesem Betrieb(-steil) zuzuordnen sei. So relativierten das BAG und der EuGH die Befürchtung, im Falle einer Auftragsnachfolge müsse nach den Grundsätzen der "Klarenberg"-Rechtsprechung des EuGH in aller Regel von einem Betriebsübergang ausgegangen werden. Damit und auch durch die vorangegangene Entscheidung des BAG, eine Veränderung des Betriebskonzepts durch den Erwerber schließe auch bei weitgehender Übernahme sächlicher Betriebsmittel die Annahme eines Betriebsübergangs aus, wurden die potenziellen Folgen der Rechtssache "Klarenberg" entschärft.
Wann von einem Übergang der wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität auszugehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist anhand einer typologischen Gesamtbetrachtung festzustellen:
Rz. 1035
Maßgeblich sind insbesondere sieben Hauptkriterien:
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Art des Betriebes (Grobraster: Produktions- oder Dienstleistungsbetrieb) |
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Übertragung und Wert sächlicher Betriebsmittel (z.B. Gebäude oder Maschinen) |
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Übernahme immaterieller Aktiva (Patente, Lizenzen, Know-how etc.) |
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Übernahme der Hauptbelegschaft unter Berücksichtigung der Qualifikation der Arbeitnehmer und deren Bedeutung für den Fortbestand des Betriebes (Know-how-Träger) |
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Übergang von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen |
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Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Arbeitgebers |
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Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit |
All dies sind nur Teilaspekte in einer Gesamtbewertung und diese dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Gleichwohl ist eine grundsätzliche Weichenstellung nach der Rechtsprechung des EuGH und BAG damit verbunden, ob es bei der übergehenden Einheit im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt (i.d.R. Dienstleistungsbetrieb) oder nicht (i.d.R. Produktionsbetrieb). Im ersten Fall kommt dem Übergang des Personals größeres Gewicht zu, während im zweiten Fall die Betriebsmittel von größerer Bedeutung sind. Allerdings sorgte der EuGH jüngst für Zweifel, ob nicht auch in betriebsmittelgeprägten Betrieben ein § 613a BGB ohne Wechsel der Betriebsmittel stattfinden könne, solange ein wesentlicher Teil der Belegschaft übergeht. Das war bislang nur bei betriebsmittelarmen Betrieben so gesehen worden. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht es einem Betriebsübergang nicht entgegen, wenn die Abwicklung der übertragenen Einheit geplant ist – soweit es sich nicht um eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung handelt.
Nicht ausreichend für die Annahme der Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit sind etwa:
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Bloße Fortführung der Tätigkeit bzw. Funktionsnachfolge (denn die wirtschaftliche Einheit darf nicht ... |