Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 1045
Die X-Gesellschaft möchte einen ihrer Geschäftsbereiche am Standort A ausgliedern. An dem Teilbetrieb ist die Y-Gesellschaft interessiert. Im Wege der Spaltung wird der Teilbetrieb durch Gesamtrechtsnachfolge auf die neu zu gründende Tochtergesellschaft Z übertragen. Zeitgleich erfolgt eine Spaltung des Betriebs in A nach § 111 Nr. 3 BetrVG. Der Teilbetrieb wird zu einem Betrieb der Z-Gesellschaft. Anschließend werden die Anteile der X-Gesellschaft an der Z-Gesellschaft von der Y-Gesellschaft im Wege eines Sharedeals übernommen. Die Z-Gesellschaft verpflichtet sich eine Tarifbindung herzustellen. Freiwillige Sozialleistungen der X-Gesellschaft sollen hingegen teilweise eingestellt werden.
2. Rechtliche Grundlagen
a) Vorliegen eines Betriebs-/Betriebsteilübergangs
Rz. 1046
Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang liegt gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht.
Dies ist anzunehmen, wenn eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität vom neuen Inhaber weitergeführt oder wieder aufgenommen wird. Bis zur Rechtssache "Klarenberg" war hierzu ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten Gesamtheit "Betrieb bzw. Betriebsteil" beim neuen Inhaber erforderlich. Nach dem Urteil des EuGH vom 12.2.2009 ist eine fortbestehende organisatorische Selbstständigkeit nicht mehr zwingend erforderlich; schon "eine funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren" beim Erwerber soll ausreichen. Auch wenn es laut BAG ausreicht, dass unmittelbar nach dem Übergang die bisherige Grundtätigkeit weiter überwiegen, fehlen nach wie vor eindeutige Anhaltspunkte, wann von einer funktionellen Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren auszugehen ist. Jedenfalls ist dem BAG und dem EuGH zufolge vor der Prüfung, ob beim Erwerber eine funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren besteht, zunächst sorgfältig zu bestimmen, (i) ob die zu veräußernden Produktionsfaktoren überhaupt einen Betrieb(-steil) beim Veräußerer darstellen, wofür eine beim Veräußerer bestehende funktionelle Verknüpfung von Produktionsfaktoren nicht genüge, sondern eine ausreichende funktionelle Autonomie erforderlich sei, und (ii) ob ein bestimmter Arbeitnehmer diesem Betrieb(-steil) zuzuordnen sei. So relativierten das BAG und der EuGH die Befürchtung, im Falle einer Auftragsnachfolge müsse nach den Grundsätzen der "Klarenberg"-Rechtsprechung des EuGH in aller Regel von einem Betriebsübergang ausgegangen werden.Gleichwohl sind die Begrifflichkeiten und Anforderungen an einen Betriebsübergang weiterhin im Fluss, wie die unterschiedliche Beurteilung der sog. Wet Lease in der Luftfahrt durch die Senate des BAG zeigt. Eine Klärung wird durch den EuGH erfolgen. Das gilt gleichermaßen für die Behandlung von Matrix-Strukturen und die Frage, ob auch wechselndes Personal für die Bejahung einer übergangsfähigen Einheit ausreicht.
Wann von einem Übergang der wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität auszugehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist anhand einer typologischen Gesamtbetrachtung festzustellen:
Rz. 1047
Maßgeblich sind insbesondere sieben Hauptkriterien:
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Art des Betriebes (Grobraster: Produktions- oder Dienstleistungsbetrieb) |
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Übertragung und Wert sächlicher Betriebsmittel (z.B. Gebäude oder Maschinen) |
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Übernahme immaterieller Aktiva (Patente, Lizenzen, Know-how etc.) |
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Übernahme der Hauptbelegschaft unter Berücksichtigung der Qualifikation der Arbeitnehmer und deren Bedeutung für den Fortbestand des Betriebes (Know-how-Träger) |
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Übergang von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen |
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Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Arbeitgebers |
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Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit |
All dies sind nur Teilaspekte in einer Gesamtbewertung, die nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Zunächst stellten EuGH und BAG darauf ab, ob es bei der übergehenden Einheit im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt (i.d.R. Dienstleistungsbetrieb) oder eher nicht (i.d.R. Produktionsbetrieb). Im ersten Fall sollte dem Übergang des Personals größeres Gewicht zukommen, während im zweiten Fall die Betriebsmittel von größerer Bedeutung sein sollten. Mittlerweile ist auch diese Unterscheidung nur Teil der Gesamtabwägung, da nach dem EuGH auch in betriebsmittelgeprägten Betrieben ein § 613a BGB ohne Wechsel der Betriebsmittel denkbar ist, solange ein wesentlicher Teil der Belegschaft übergeht. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht es einem Betriebsübergang nicht entgegen, wenn die Abwicklung der übertragenen Einheit geplant ist – soweit es sich nicht um eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung handelt. Nicht erforderlich ist die Fortführung des übernommenen Teils als eigenständige Organisationseinheit beim Erwerber.
Nicht ausreichend für die Annahme der Übernahme einer ...