Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
aa) Typischer Sachverhalt (Beispielsfall)
Rz. 267
Die im Bereich der Kunststoffproduktion insbesondere als Automobilzulieferer tätige A-GmbH hat einen erheblichen Auftragsrückgang zu verzeichnen. Dieser hängt zum einen mit den erhöhten Ölpreisen und der damit verbundenen Schwächung der Automobilindustrie, zum anderen mit aktuellen Streiks in der Automobilindustrie zusammen. Es besteht jedoch die berechtigte Hoffnung, dass sich in einigen Monaten die Auftragslage verbessert. Da die Geschäftsleitung ihre gut ausgebildeten Fachkräfte nicht betriebsbedingt kündigen möchte, entschließt sie sich, zeitlich begrenzt Kurzarbeit einzuführen und beginnt dahingehende Gespräche mit dem Betriebsrat.
Alternativ:
Die im Bausektor tätige B-GmbH hat Mitte Oktober aufgrund eines überraschend starken und frühen Wintereinbruchs einen erheblichen Auftragsrückgang zu verzeichnen. Die Geschäftsführung geht jedoch berechtigterweise davon aus, nach Ablauf einiger Monate wieder eine normale Auslastung erreichen zu können. Da die Geschäftsleitung ihre gut ausgebildeten Fachkräfte nicht betriebsbedingt kündigen möchte, entschließt sie sich, Saison-Kurzarbeit einzuführen und beginnt dahingehende Gespräche mit dem Betriebsrat.
bb) Rechtliche Grundlagen
(1) Allgemeines
Rz. 268
Kurzarbeit ist das vorübergehende Absenken der betriebsüblichen regelmäßigen Arbeitszeit bei entsprechender Reduzierung des Entgelts. Das Ziel der Kurzarbeit liegt darin, den Betrieben eingearbeitete Arbeitnehmer zu erhalten und insbesondere betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Hierzu wird die Produktion – oftmals aufgrund Auftragsmangels – heruntergefahren und gleichzeitig die Lohnkostenbelastung des Arbeitgebers gesenkt. Sinn und Zweck ist die vorübergehende wirtschaftliche Entlastung des Betriebs durch Senkung der Personalkosten unter gleichzeitiger Erhaltung der Arbeitsplätze. Kurzarbeit ist das Mittel der Wahl, wenn man nach einem vorübergehenden verringerten Personalbedarf wieder Vollauslastung erwartet.
Rz. 269
Die Möglichkeit der Kurzarbeit steht der deutschen Wirtschaft bereits seit den 1950er Jahren zur Verfügung. Ihre Grundidee reicht sogar bis in die 1920er Jahre zurück. In ihrer heutigen Form ist Kurzarbeit ein von staatlicher Seite bereitgestelltes, volkswirtschaftliches Instrument zur Regulierung konjunktureller Härten am Arbeitsmarkt. Seither hat es in zwei Wirtschaftskrisen großflächige Kurzarbeitswellen von historischem Ausmaß gegeben. Zum einen die Finanzkrise im Jahre 2009 und zum anderen die Corona-Pandemie im Jahr 2020. In beiden Kurzarbeitswellen hat die jeweilige Bundesregierung die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld vorübergehend erweitert. In der Folge haben Unternehmen in nie dagewesenem Ausmaß auf Kurzarbeit zurückgegriffen. Zu den bewährten zeitweiligen Änderungsmöglichkeiten gehören insbesondere ein erleichterter Zugang zu Kurzarbeitergeld sowie eine verlängerte Maximalbezugsdauer bis zu 24 Monaten. Seit dem 1.7.2023 gelten für den Erhalt von Kurzarbeitergeld wieder die Voraussetzungen, die vor der Corona-Pandemie galten. Gemäß dem am 20.7.2023 verkündeten Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung unterstützt die Bundesregierung Betriebe in Kurzarbeit weiterhin insofern, dass Sozialversicherungsbeiträge bei beruflicher Weiterbildung während Kurzarbeit über den 31.7.2023 hinaus ein weiteres Jahr zur Hälfte erstattet werden.
Rz. 270
Zur Kurzarbeit zählt auch die sogenannte "Kurzarbeit Null", also die gänzliche Reduzierung der Arbeitszeit. Sie ist ausdrücklich in § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB III geregelt.
Die Kurzarbeit greift in den Kerngehalt des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses ein. Sie bedarf daher einer besonderen normativen oder vertraglichen Grundlage. Für die Einführung von Kurzarbeit in betriebsratslosen Betrieben ist grundsätzlich eine individualrechtliche Umsetzung mit allen betroffenen Arbeitnehmern erforderlich. Sofern ein entsprechendes Recht des Arbeitgebers nicht bereits arbeitsvertraglich geregelt wurde und der Arbeitnehmer nicht bereit ist, der Kurzarbeit zuzustimmen, ist eine Änderungskündigung notwendig. Denn eine einseitige Verkürzung der Arbeitszeit ist in der Regel nicht vom allgemeinen Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt. Neben den üblichen Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung ist als entscheidender Nachteil der Änderungskündigung allerdings der Umstand zu nennen, dass das Abwarten von individuellen Kündigungsfristen unpraktikabel und mit erhöhtem organisatorischem Aufwand verbunden ist, da es eine gleichzeitige und zeitnahe Einführung von Kurzarbeit fast unmöglich macht.
(2) Kurzarbeitergeld
Rz. 271
Kurzarbeit wird durch Kurz...