Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 788
Die Widerspruchsgründe des BR gegen die beabsichtigte Arbeitgeberkündigung sind in § 102 Abs. 3 Nr. 1–5 BetrVG abschließend aufgezählt, wobei durch Tarifvertrag oder durch (freiwillige) Betriebsvereinbarung weitere Widerspruchsgründe geschaffen werden können:
(1) Fehlerhafte Sozialauswahl (Nr. 1)
Rz. 789
Nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG kann der BR wegen nicht- oder nicht ausreichender Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers Widerspruch gegen die beabsichtigte ordentliche betriebsbedingte Kündigung erheben. Dieser Widerspruchsgrund kommt allerdings nicht in Betracht beim Ausspruch personen- oder verhaltensbedingter Kündigungen, und zwar auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber zusätzlich personen- oder verhaltensbedingte Gründe als alternative Kündigungsbegründung heranzieht. Im Übrigen bezieht sich der Widerspruch ausschließlich auf die vom Arbeitgeber getroffene soziale Auswahl des für die Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmers, nicht auf die Betriebsbedingtheit der Kündigung. Diese muss der BR zwar nicht als Begründung akzeptieren, insoweit besteht aber kein Widerspruchsrecht. Rügt der BR daher lediglich, dass es an einem Kündigungsgrund fehle, weil kein Arbeitsplatz entfallen sei, äußert sich aber nicht zur getroffenen Sozialauswahl, ist sein Widerspruch unbeachtlich. Stützt der BR seinen Widerspruch aber auf die seiner Auffassung nach fehlerhafte Sozialauswahl, hat er konkret aufzuzeigen, welcher vom Arbeitgeber bei der sozialen Auswahl nicht berücksichtigte Arbeitnehmer gegenüber dem Betroffenen sozial weniger schutzwürdig ist; der weniger schutzwürdige Arbeitnehmer muss jedenfalls anhand abstrakter Merkmale aus dem Widerspruchsschreiben bestimmbar sein. Darüber hinaus muss der BR plausibel darlegen, warum ein anderer Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sein soll. Hierzu sind zwar nicht die einzelnen Sozialdaten i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG aufzuführen, der BR muss aber aufzeigen, welche Gründe aus seiner Sicht zu einer anderen Bewertung der sozialen Schutzwürdigkeit führen. Sind gleichzeitig mehrere betriebsbedingte Kündigungen beabsichtigt, setzt der wirksame Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG voraus, dass der BR in jedem Einzelfall auf bestimmte oder bestimmbare, seiner Ansicht nach weniger schutzwürdige Arbeitnehmer verweist. Beabsichtigt der Arbeitgeber mehrere betriebsbedingte Kündigungen, soll der BR aber nach Auffassung des BAG nicht unter Verweis auf ein angebliches Außerachtlassen derselben weniger schutzwürdigen Vergleichspersonen allen/mehreren Kündigungen widersprechen können.
(2) Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG (Nr. 2)
Rz. 790
Nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG kann der BR mit seinem Widerspruchsschreiben rügen, dass die Kündigung gegen eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG verstößt. Dabei muss der BR die Auswahlrichtlinie sowie die Tatsachen, aus denen sich der Verstoß ergeben soll, konkret bezeichnen. Der Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG kommt regelmäßig nur bei betriebsbedingten Kündigungen in Betracht. Auswahlrichtlinien sind Grundsätze, die bei der Entscheidung, wem gegenüber eine personelle Einzelmaßnahme (hier: betriebsbedingte Kündigung) vorzunehmen ist, zu berücksichtigen sind. Diese Festlegung der Auswahlkriterien dient der Versachlichung und Transparenz der jeweiligen Personalentscheidung, wobei dem BR bei der Aufstellung der Auswahlrichtlinien ein Mitbestimmungsrecht nach § 95 BetrVG zukommt. Ein Punkteschema für die soziale Auswahl ist auch dann eine nach § 95 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Auswahlrichtlinie, wenn es der Arbeitgeber nicht generell auf alle künftigen betriebsbedingten Kündigungen, sondern nur auf konkret bevorstehende Kündigungen anwenden will. Dies gilt auch dann, wenn das Punkteschema nur Grundlage für die Auswahlentscheidung ist und für eine Berücksichtigung von Einzelkriterien noch Raum ist. Besteht eine Auswahlrichtlinie, hat der Arbeitgeber eine Auswahlentscheidung entsprechend der Richtlinie durchzuführen. Der BR kann der Auswahlentscheidung widersprechen, wenn der Arbeitgeber die Sozialauswahl nicht gemäß der vereinbarten oder durch Spruch der Einigungsstelle erlassenen Auswahlrichtlinie vorgenommen hat. Ein Verstoß gegen eine wirksame Auswahlrichtlinie hat die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl zur Folge, sodass die Kündigung sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam ist. Der Arbeitnehmer kann sich hierauf unmittelbar berufen, wenn der BR der Kündigung deswegen widersprochen hat, § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1a KSchG. Umstritten ist allerdings, was gilt, wenn die Auswahlrichtlinie (etwa in Form eines Punkteschemas) betriebsverfassungswidrig zur Anwendung kommt, der Arbeitgeber sie also ...