Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
aa) Regelungszweck
Rz. 894
Der Gesetzgeber hat den Betriebsparteien in § 95 Abs. 1 und 2 BetrVG die Möglichkeit eingeräumt, mithilfe von Richtlinien Personalentscheidungen zu versachlichen und damit für die Betroffenen durchschaubarer zu machen. Solche Auswahlrichtlinien können Personalauswahlentscheidungen bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen betreffen. Dabei handelt es sich um Grundsätze, die zu berücksichtigen sind, wenn bei beabsichtigten personellen Einzelmaßnahmen, für die mehrere Arbeitnehmer oder Bewerber in Frage kommen, zu entscheiden ist, welchem gegenüber sie vorgenommen werden sollen. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er und nicht ein anderer von einer ihn belastenden Personalmaßnahme betroffen wird oder warum eine günstige Maßnahme nicht ihm, sondern einem anderen zuteilwird. Durch die Aufstellung objektiver Kriterien wird der Arbeitgeber an willkürlichen Personalentscheidungen gehindert; dies soll den Betriebsfrieden fördern und einer gerechten Behandlung der Arbeitnehmer dienen. Stellt der Arbeitgeber Auswahlrichtlinien auf oder praktiziert er bei seinen Personalentscheidungen ein bestimmtes Auswahlsystem, besteht grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht des BR aus § 95 Abs. 1 BetrVG; in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern ist die Aufstellung von Auswahlrichtlinien sogar erzwingbar, § 95 Abs. 2 S. 1 BetrVG.
Rz. 895
Die Auswahl selbst ist dabei Sache des Arbeitgebers. Die Richtlinien sollen lediglich seinen Ermessensspielraum durch die Aufstellung von Entscheidungskriterien beschränken. Dabei steuert die Richtlinie nicht die personelle Maßnahme als solche, sondern lediglich die im Zusammenhang mit dieser getroffene personelle Auswahl. Auswahlrichtlinien zu Kündigungen sind allein für betriebsbedingte Kündigungen denkbar, da es bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen nicht um eine Auswahl zwischen mehreren Arbeitnehmern gehen kann. Bei betriebsbedingten Kündigungen regeln sie die Sozialauswahl. Neben derartigen Kündigungsrichtlinien kennt die Praxis noch Einstellungs- und Versetzungsrichtlinien, sehr selten Umgruppierungsrichtlinien.
Rz. 896
Keine Auswahlrichtlinien sind Stellenausschreibungen (dazu § 93 BetrVG) sowie Stellen- oder Funktionsbeschreibungen, Anforderungsprofile oder die Aufstellung von Kriterien für die Zuweisung von Planstellen, auch wenn teilweise Überschneidungen mit Auswahlrichtlinien vorliegen können. Bei diesen handelt es sich aber um Maßnahmen, die allein der betrieblichen Organisationsgewalt des Arbeitgebers unterfallen. Ebenso wenig handelt es sich um Auswahlrichtlinien, wenn der Arbeitgeber Zuweisungskriterien für Büroraum festlegt.
bb) Auswahlrichtlinie im Einzelfall
Rz. 897
Legt der Arbeitgeber für eine beabsichtigte Maßnahme lediglich die Voraussetzungen fest, unter denen diese durchgeführt wird, stellt dies noch keine Auswahlrichtlinie dar. Mitbestimmungspflichtig ist erst die Aufstellung von allgemeinen Kriterien durch den Arbeitgeber, anhand derer er die Voraussetzungen für eine personelle Maßnahme festlegt. Zu unterscheiden ist daher zwischen der vorgangsbezogenen – mitbestimmungsfreien – und der personenbezogenen – mitbestimmungspflichtigen – Kriterienfestlegung. Auswahlrichtlinien können auch anlässlich einer konkreten Personalmaßnahme oder als abstrakt-generelle Dauerregelung aufgestellt werden. Voraussetzung ist nicht ih...