Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 805
Während des laufenden Anhörungsverfahrens und bis zum Ausspruch der Kündigung kann der Arbeitgeber – aus eigener Veranlassung oder wegen konkreter Nachfragen des BR – jederzeit weitere Tatsachen als Kündigungsgrund in das Anhörungsverfahren einführen. Schiebt der Arbeitgeber weitere Gründe nach, hat er (erneut) die Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG von einer Woche bzw. drei Tagen bei ordentlichen bzw. außerordentlichen Kündigungen abzuwarten, bevor er die beabsichtigte Kündigung ausspricht. Andernfalls sind die nachgeschobenen Kündigungsgründe im Kündigungsschutzprozess nicht verwertbar, denn der Arbeitgeber muss dem BR alle Gründe mitteilen, die ihn zur Kündigung veranlasst haben (Grundsatz der subjektiven Determinierung der Betriebsratsanhörung). Dementsprechend können Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt wurden, in den Kündigungsschutzprozess nach entsprechender Anhörung des BR gemäß § 102 BetrVG eingeführt werden. Dafür muss der Arbeitgeber dann ggf. – obgleich er bereits eine Kündigung ausgesprochen hat – den BR nachträglich über die ihm bekannt gewordenen, weiteren Kündigungsgründe informieren und mitteilen, dass er beabsichtigt, diese in den Prozess einzuführen. Nach Ablauf der jeweiligen Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG ist dies dann möglich.
Rz. 806
Existierten die Kündigungsgründe hingegen bereits bei Ausspruch der Kündigung und waren sie dem Arbeitgeber auch bekannt, ist ihr Nachschieben im Kündigungsschutzprozess selbst bei nachgeholter Anhörung des BR unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn der BR der beabsichtigten Kündigung bereits aufgrund der ihm zuvor mitgeteilten Gründe uneingeschränkt zugestimmt hat.
Rz. 807
Vom Nachschieben von Kündigungsgründen im Prozess ist die Erläuterung oder Konkretisierung der dem BR mitgeteilten Kündigungsgründe zu unterscheiden. Diese ist möglich, wenn es sich um Tatsachen handelt, die den Kündigungssachverhalt nicht wesentlich verändern und dem BR daher dem Grunde nach bereits mitgeteilt worden sind. Eine solche Konkretisierung des bisherigen Sachvortrags liegt vor, wenn der Arbeitgeber in der Kündigungsanhörung des BR vorgetragen hat, es gäbe keine oder nur bestimmte, von ihm benannte vergleichbare Arbeitnehmer, und er dann im Kündigungsschutzprozess näher erläutert, weswegen bestimmte Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen waren, nachdem der klagende Arbeitnehmer dies gerügt hat. Zulässig ist es auch, auf eine entsprechende Rüge des Arbeitnehmers im Prozess die für die hypothetische soziale Auswahl (objektiv) erheblichen Umstände ergänzend vorzutragen, wenn der Arbeitgeber zunächst der Ansicht war, bei der Erklärung der Kündigung aus nachvollziehbaren Gründen keine soziale Auswahl vornehmen zu müssen und sich diese Annahme als unzutreffend erweist. Indes handelt es sich um ein unzulässiges Nachschieben und nicht bloß um eine Konkretisierung von Kündigungsgründen, wenn sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess über eine verhaltensbedingte Kündigung erstmals auf das Vorhandensein und den Inhalt einer einschlägigen Abmahnung beruft, sofern dies dem BR nicht mitgeteilt wurde.
Befand sich der Arbeitgeber im Irrtum über die Kündigungsgründe, darf er ausnahmsweise die richtigen Gründe nachschieben; er trägt aber dann im Prozess die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er den BR nicht bewusst in die Irre geführt hat.