Wolfgang Arens, Jürgen Brand
I. Tarifbindung
Rz. 299
Der Grundsatz, dass das Arbeitsverhältnis über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus fortbesteht, führt zu einer Bindung des Insolvenzverwalters an die Tarifverträge in dem Umfang, in dem die Bindung auch für den Gemeinschuldner galt. Dies gilt also sowohl für den Fall einer Mitgliedschaft im vertragschließenden Arbeitgeberverband als auch für den Fall eines Firmentarifvertrages als auch für Tarifbindung durch arbeitsvertragliche Inbezugnahme.
Rz. 300
Hinweis
Allerdings gelten für anfechtungsrechtliche Rückgewähransprüche des Insolvenzverwalters gegen Arbeitnehmer nicht etwaige arbeitsvertragliche oder tarifliche Verfallklauseln, die ansonsten für neue Ansprüche aus fortbestehenden Arbeitsverhältnissen weiter gelten, während für noch nicht verfallene Ansprüche aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung nach der Rechtsprechung des BAG tarifliche Ausschlussfristen ihren Sinn verlieren sollen.
II. Insolvenzbedingtes Ausscheiden aus dem Arbeitgeberverband
Rz. 301
Wenn nach der Satzung des Arbeitgeberverbandes der Insolvenzeröffnung zu einer Beendigung der Mitgliedschaft führt, endet ipso jure hierdurch mit Verfahrenseröffnung die Stellung als Mitglied einer Tarifvertragspartei. Dies führt aber nicht dazu, dass die Verfahrenseröffnung die Tarifverträge unanwendbar macht.
Rz. 302
Vielmehr kommt es gem. § 3 Abs. 3 TVG zu einer Nachwirkung der Tarifverträge, so dass der Insolvenzverwalter an alle bei Insolvenzeröffnung bestehenden Tarifverträge nach wir vor gebunden bleibt. Nur diejenigen Tarifverträge, die nach Verfahrenseröffnung neu abgeschlossen werden, binden den Insolvenzverwalter nicht mehr. In der Praxis kommt insoweit eine große Bedeutung den (rückwirkenden) tarifvertraglichen Entgelterhöhungen zu.
Rz. 303
Ist in der Satzung des Arbeitgeberverbandes keine Beendigung der Mitgliedschaft für den Fall der Verfahrenseröffnung enthalten, erstreckt sich die fortwirkende Tarifbindung nicht nur auf bestehende Tarifverträge, sondern auch auf nach Verfahrenseröffnung abgeschlossene Tarifverträge.
Rz. 304
Hinweis
Der Insolvenzverwalter kann sich im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht jedenfalls dann nicht durch einen Vertreter eines Arbeitgeberverbandes vertreten lassen, wenn nach der Verbandssatzung die Mitgliedschaft des Gemeinschuldners geendet hat und der Insolvenzverwalter nicht selbst Mitglied des Verbandes ist.
III. Bindung an Betriebsvereinbarungen
Rz. 305
Grundsätzlich besteht kein Recht des Insolvenzverwalters, Ansprüche der Arbeitnehmer einzustellen oder einseitig zu kürzen. Soweit Betriebsvereinbarungen bestehen, werden die Rechte des Arbeitnehmers daraus durch das Insolvenzverfahrens ebenfalls nicht berührt. Wenn in den Betriebsvereinbarungen aber Leistungen vorgesehen sind, die eine Belastung für die Insolvenzmasse ergeben, sollen gem. § 120 Abs. 1 S. 1 InsO der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistung beraten.
Rz. 306
Darüber hinaus hat der Insolvenzverwalter das Recht, mit einer Drei-Monats-Frist diese Betriebsvereinbarungen zu kündigen, auch wenn eine längere Kündigungsfrist vorgesehen ist. Diese Regelung soll nicht nur für freiwillige Betriebsvereinbarungen gelten, sondern auch für Betriebsvereinbarungen im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten i.S.v. § 87 BetrVG.
Rz. 307
Nach der Rechtsprechung des BAG wirken Betriebsvereinbarungen über freiwillige Leistungen nicht nach, wenn der Arbeitgeber sie zu dem Zweck gekündigt hat, die freiwilligen Leistungen gänzlich einzustellen.
Rz. 308
Hinweis
Sollen dagegen die freiwilligen Leistungen nur gekürzt werden, gilt Nachwirkung gem. § 77 Abs. 6 BetrVG ebenso wie bei Betriebsvereinbarungen im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung, insbesondere nach § 87 BetrVG, weil dann Verteilungsregelungen erforderlich sind.
Rz. 309
Gem. § 120 Abs. 1 S. 2 InsO können diese Betriebsvereinbarungen dann auch mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden, wenn sie eine längere Frist enthalten.
Rz. 310
Nach § 120 Abs. 2 InsO bleibt davon das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist unberührt. Dabei stellt allein die Verfahrenseröffnung keinen wichtigen Grund im Sinne dieser Vorschrift dar. Ebenso wie das Arbeitsv...