Rolf Klutinius, Jan Therstappen
1. Begriff
Rz. 62
Eine Gefahrerhöhung liegt vor, wenn sich die vom Versicherer bei Vertragsabschluss vorausgesetzte Gefahrenlage ungünstig verändert und eine generell höhere Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Versicherungsfalls oder die Vergrößerung des Schadenumfanges begründet wird.
Rz. 63
Gefahrerhöhung ist abzugrenzen von der bloßen Gefahrsteigerung. Einmalige, kurzfristige Gefahränderungen stellen im Allgemeinen keine Gefahrerhöhung dar, z.B. Benutzung eines abgefahrenen Reservereifens auf der Fahrt zur nächsten Werkstatt oder ein ungenügendes Anziehen der Handbremse bei Parken auf einer Gefällstrecke. Gefahrerhöhung liegt erst dann vor, wenn sich die geänderte Gefahrenlage auf einem erhöhten Niveau für eine gewisse Dauer stabilisiert hat. Das Benutzen eines verkehrsunsicheren Fahrzeugs über eine einmalige Gefährdungshandlung hinaus ist allerdings Gefahrerhöhung. Ein wochenlang unrepariert bleibendes Pkw-Seitenfenster führt in der Kaskoversicherung zu einer dauerhaften Gefahrerhöhung. Gleiches gilt für die Benutzung eines Kfz-Hinterreifens ohne Profil. Hingegen stellt das dauerhafte Belassen des Kfz-Scheins im Fahrzeug in der Kaskoversicherung keine erhebliche Gefahrerhöhung für das Entwendungsrisiko dar.
Rz. 64
Zu unterscheiden ist zwischen den drei Tatbeständen des
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§ 23 Abs. 1 VVG (subjektive, gewollte Gefahrerhöhung, die vom Versicherungsnehmer vorgenommen bzw. gestattet wird), |
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§ 23 Abs. 2 VVG (nicht unverzügliche Anzeige einer nachträglich erkannten subjektiven oder objektiven Gefahrerhöhung), |
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§ 23 Abs. 3 VVG (objektive, nicht veranlasste Gefahrerhöhung, die ohne oder gegen den Willen des Versicherungsnehmers eintritt). |
2. Vornahme einer Gefahrerhöhung
Rz. 65
Nach § 23 Abs. 1 VVG trifft den Versicherungsnehmer die Gefahrstandspflicht. Er darf die Gefahrenlage nicht nachträglich durch Vornahme oder Gestatten einer Gefahrerhöhung zu Lasten des Versicherers verändern.
Die Vornahme einer Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 1 VVG kann nur durch aktives Tun, nicht jedoch durch ein Unterlassen des Versicherungsnehmer verwirklicht werden. In der Kfz-Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung wird allerdings angenommen, dass das Unterlassen einer Reparatur eines nicht verkehrssicheren Fahrzeugs und die anschließende Benutzung dieses Fahrzeugs eine "vorgenommene" und damit gewollte Gefahrerhöhung darstellen. Das OLG Koblenz hat entschieden, es liege eine gewollte Gefahrerhöhung vor, wenn der Versicherungsnehmer dauernd einen Zweitschlüssel im Kfz-Innenraum aufbewahrt.
Rz. 66
In subjektiver Hinsicht erfordert die Gefahrerhöhung positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem gefahrerhöhenden Umstand; aber den gefahrerhöhenden Charakter dieses Umstandes braucht er nicht zu kennen. Wenn also der Versicherungsnehmer mit abgefahrenen Reifen fährt, muss er zwar den Zustand der Reifen kennen, nicht jedoch die Kenntnis besitzen, dass das Fahrzeug mit solchen Reifen leichter verunfallen kann. Mangelhafte Einbauten in ein Kraftfahrzeug stellen im Rahmen der Kraftfahrtversicherung nur dann eine subjektive Gefahrerhöhung dar, wenn der Versicherungsnehmer die Mangelhaftigkeit kennt. Der positiven Kenntnis steht es gleich, wenn sich der Versicherungsnehmer der Kenntnis von dem gefahrerhöhenden Umstand arglistig entzieht. Die Anforderungen sind streng. Von Arglist kann nicht bereits deshalb ausgegangen werden, weil sich der Versicherungsnehmer um die Verkehrssicherheit seines Fahrzeugs nicht hinreichend gekümmert hat.
Rz. 67
Der Nachweis der Gefahrerhöhung obliegt dem Versicherer. Gleiches gilt für die Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Gefahrerhöhung.
3. Objektive Gefahrerhöhung
Rz. 68
Sofern der Versicherungsnehmer einen Fahrzeugschlüssel verliert, keine Sicherungsmaßnahmen ergreift und das Fahrzeug sodann entwendet wird, liegt nach BGH eine ungewollte Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 3 VVG) vor.