Rolf Klutinius, Jan Therstappen
1. Allgemeines
Rz. 76
Obliegenheiten sind nach h.M. Verhaltensnormen, die jeder Versicherungsnehmer beachten muss, um seinen Versicherungsanspruch zu erhalten. Es sind keine unmittelbar erzwingbaren Verbindlichkeiten, sondern bloße Verhaltensnormen (Voraussetzungen), die der Versicherungsnehmer zu erfüllen hat, wenn er seinen Versicherungsanspruch behalten will. Die Kraftfahrtversicherung ist eine Zusammenfassung mehrerer Versicherungsverträge (Haftpflichtversicherung, Vollkaskoversicherung, Teilkaskoversicherung, Fahrerschutzversicherung), so dass Obliegenheitsverletzungen für die jeweilige Sparte getrennt zu prüfen sind.
Rz. 77
Bei der zuvor erläuterten Gefahrstandspflicht und Anzeigepflicht bei Gefahrerhöhung handelt es sich um gesetzliche Obliegenheiten.
Rz. 78
Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung ist nicht von Amts wegen zu beachten. Der Versicherer muss sich darauf berufen. Bei Altverträgen ist eine Berufung auf vertraglich vereinbarte Obliegenheiten nicht möglich, wenn keine Umstellung des Vertrags erfolgte (vgl. Rdn 9).
2. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls
Rz. 79
Die in der Kraftfahrtversicherung vor dem Versicherungsfall zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheiten sind in Abschnitt D AKB 2015 "Welche Pflichten haben Sie beim Gebrauch des Fahrzeugs?" enthalten.
a) Tatbestände
aa) Verwendungsklausel
Rz. 80
Nach D.1.1 AKB 2015 darf ein Fahrzeug nicht zu einem anderen als dem im Versicherungsvertrag angegebenen Zweck verwendet werden. Ein Verstoß des Versicherungsnehmers führt zu einem Leistungskürzungsrecht des Versicherers; in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung richtet sich das Limit der Leistungsfreiheit nach § 5 Abs. 3 S. 1, 2 KfzPflVV.
Rz. 81
Der im Versicherungsvertrag vereinbarte Verwendungszweck bestimmt den Prämientarif. Die Prämien für Mietwagen und Taxen sind höher als für privat genutzte Fahrzeuge, der Prämientarif im Güterfernverkehr ist höher als im Güternahverkehr. Wird daher ein zum privaten Tarif versichertes Fahrzeug als Mietwagen oder Taxi eingesetzt, so liegt darin eine Obliegenheitsverletzung, ebenso wie bei der Verwendung eines zum Güternahverkehr versicherten Fahrzeuges im Güterfernverkehr. Auch der Missbrauch eines roten Kennzeichens ist ein Verstoß gegen die Verwendungsklausel. Die Verwendungsklausel ist somit eine spezielle Regelung der Gefahrerhöhung.
Da es sich insoweit um eine vertragliche Obliegenheit handelt, findet § 28 Abs. 2 VVG Anwendung: Der Versicherer muss nicht nur beweisen, dass das Fahrzeug zu einem nicht vereinbarten Verwendungszweck benutzt worden ist, sondern auch, dass die vertragswidrige Nutzung vom Versicherungsnehmer selbst vorgenommen oder veranlasst wurde.
Der Kausalitätsgegenbeweis kann bei einem Verstoß gegen die Verwendungsklausel nur durch den Nachweis erbracht werden, dass der Unfall für den Fahrer ein unabwendbares Ereignis war.
bb) Schwarzfahrtklausel
Rz. 82
Nach D.1.1.2 AKB liegt eine Obliegenheitsverletzung vor, wenn ein unberechtigter Fahrer das Fahrzeug gebraucht hat. Unberechtigter Fahrer ist, wer ohne ausdrückliche oder stillschweigende vorherige Erlaubnis des Halters das Fahrzeug lenkt.
Rz. 83
Nach D.1.1.2 AKB ist der Versicherer auch gegenüber dem Versicherungsnehmer, Eigentümer oder Halter zur Leistungskürzung berechtigt, wenn dieser die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht hat, etwa durch leichtsinnigen Umgang mit den Kfz-Schlüsseln.
Hinweis
Auch der unberechtigte Fahrer ist nach A.1.2 AKB in der Kfz-Haftpflichtversicherung im Außenverhältnis mitversichert, da andernfalls der Schutz von Unfallopfern nicht gewährleistet wäre; deshalb ist eine Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer möglich.
Für Amokfahrten und Terroranschläge ist von Bedeutung, dass ein vorsätzlich handelnder Fahrer aufgrund des subjektiven Risikoausschlusses des § 103 VVG keinen Versicherungsschutz hat, so dass auch kein Direktanspruch des Geschädigten gegen den KH-Versicherer wegen der Fahrerhaftung besteht. Wenn Fahrer und Halter nicht identisch sind, ist die Halterhaftung und damit der diesbezügliche Direktanspruch gegen den KH-Versicherer nur ausgeschlossen, wenn es sich um eine Schwarzfahrt i.S.d. § 7 Abs. 3 S. 1 StVG handelt.