Rz. 54
Im Familienrecht lassen sich eine ganze Reihe von klassischen Kollisionsthemen finden. Natürlich sind die nachstehenden Beispiele nicht abschließend. Die Entscheidungen können aber bei der eigenen Prüfung behilflich sein. Neben dem unter Rdn 52 beschriebenen Fall kommt eine Interessenkollision häufig auch dann vor, wenn Kinder, für die Unterhaltsansprüche geltend gemacht werden, volljährig werden, wenn beide Eltern unterhaltspflichtig sind. Der BGH hat in dem nachstehenden Fall zu Ziff. 3 entschieden, dass eine Interessenkollision nicht vorliegt, da die Mutter faktisch nicht leistungsfähig war.
Zitat
"1. Der Zugewinnausgleichsanspruch zwischen geschiedenen Ehegatten und der Unterhaltsanspruch eines unterhaltsberechtigten Kindes gegen seine Eltern decken sich sachlich zumindest teilweise; die Ansprüche bilden damit eine Rechtssache i.S. von § 43 a IV BRAO."
2. Ob eine Interessenkollision vorliegt, ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot.
3. Im Einzelfall kann daher auch die anwaltliche Vertretung des Vaters im Scheidungsverfahren und die Vertretung des Sohnes in einem unterhaltsrechtlichen Verfahren gegen die Ehefrau und Mutter zulässig sein.“ (Leitsätze der Beck-Online Redaktion)
Rz. 55
In seinen Entscheidungsgründen fordert der BGH "Transparenz und Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung" und "die Vermeidung von Konstellationen, die nicht denkbar wären, wenn es die vorangegangene Vertretung nicht gegeben hätte, die sich aber in einem aktuellen gerichtlichen Verfahren bzw. der außergerichtlichen aktuellen Interessenwahrnehmung auch tatsächlich auswirken."
Rz. 56
Der AGH Frankfurt a.M. hat in einer Entscheidung auch darauf hingewiesen, dass das Anknüpfen der berufsrechtlichen Verbotsnorm an einen lediglich latenten Interessenkonflikt gegen das Übermaßverbot verstößt und verfassungsrechtlich unzulässig wäre (hier: grundsätzlich leistungsunfähige Mutter).
Rz. 57
Die Entscheidung des OLG Bremen zur Interessenkollision bei einer Bürogemeinschaft würde heute wohl so nicht mehr ergehen, vgl. dazu § 59q Abs. 1 BRAO in Verbindung mit § 43a Abs. 4 S. 2 BRAO in der seit dem 1.8.2022 geltenden Fassung. Denn § 59q Abs. 1 BRAO definiert die Bürogemeinschaft wie folgt: "die der gemeinschaftlichen Organisation der Berufstätigkeit der Gesellschafter unter gemeinschaftlicher Nutzung von Betriebsmitteln dient, jedoch nicht selbst als Vertragspartner von rechtsanwaltlichen Mandatsverträgen auftreten soll". Die Bürogemeinschaft ist eben keine "Berufsausübungsgesellschaft", siehe auch § 3 Abs. 3 BORA in der seit 1.6.2023 geltenden Fassung.
Rz. 58
In einem Fall der Vertretung des volljährigen Kindes wegen Unterhalt gegen den Vater; Jahre zuvor Vertretung des minderjährigen Kindes in Prozesstandschaft durch die Mutter gegen den Vater erteilte die zuständige RAK zunächst einen belehrenden Hinweis; dieser wurde aufgehoben. Begründung: Mandant war in beiden Fällen das Kind.
Rz. 59
Gerade im Hinblick auf die Neuregelungen in § 43a Abs. 4–6 BRAO bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung hier weiterentwickelt. Eine entsprechende Prüfung ist immer auch anhand des Einzelfalls vorzunehmen.
Rz. 60
Beispiel
Mutter und Vater vereinbaren im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung die Freistellung der Mutter von Unterhaltsverbindlichkeiten gegenüber dem Vater; nunmehr erfolgt der Auftrag der volljährigen Kinder (durch die Mutter), Unterhaltsansprüche gegen den Vater geltend zu machen (Kinder leben bei ihr); Annahme des Mandats möglich? Meines Erachtens nein, da eine Interessenkollision gegeben ist: Die Freistellung von Unterhaltsansprüchen gilt nur im Innenverhältnis zwischen Mutter und Vater, nicht aber im Außenverhältnis; d.h. Kinder können die Mutter auf Unterhalt in Anspruch nehmen; die Mutter dann ihrerseits wieder den Vater auf Freistellung. Ob die Mutter überhaupt als Auftraggeberin der volljährigen Kinder auftreten kann/soll, ist zudem fraglich. Am Ende bleibt dann auch die Frage, wer eigentlich für die Kosten haftet.