Dr. med. Daniela Bellmann, Dr.-Ing. Steffen Brückner
Rz. 39
Neben der Verzerrung und der Überlagerung durch Bildartefakte kommt der Perspektive die größte Bedeutung zu.
Zunächst besteht die Schwierigkeit darin, die Stellung des Kopfes der Person auf den Beweisbildern korrekt einzuschätzen. Die Kopfstellung wird dabei durch folgende, in verschiedenen Ausmaßen kombinierte Bewegungen bestimmt:
1. |
Drehung des Kopfs nach rechts oder links mit einer horizontalen Verschiebung der Gesichtsmerkmale (Abb. 2), |
2. |
Neigung des Kopfs nach rechts oder links mit einer kombinierten vertikalen und horizontalen Verschiebung der Gesichtsmerkmale (Abb. 3), |
3. |
Kippung des Kopfs nach vorn und hinten mit einer vertikalen Verschiebung der Gesichtsmerkmale (Abb. 4). |
Abb. 2: Kopfdrehung nach links/rechts
Abb. 3: Kopfneigung nach links/rechts
Abb. 4: Kopfkippung nach vorne/hinten
Rz. 40
Bei der Beurteilung der Kopfposition treten folgende Einschränkungen auf:
1. |
Bei der Abbildung eines Kopfes auf einer Abbildung wird ein dreidimensionales Objekt zweidimensional dargestellt. Dabei ist, wie zu erwarten, auf den Aufnahmen die Ausrichtung horizontal (x-Achse) und vertikal (y-Achse) leichter einzuschätzen. Auf die Ausrichtung in die Tiefe (z-Achse) kann lediglich indirekt rückgeschlossen werden. Aber auch bei der Betrachtung von realen Personen aus der frontalen Perspektive ergibt sich hinsichtlich der Kippung des Kopfes (mit Verschiebung der Merkmale entlang der z-Achse) eine weitere Besonderheit: In Versuchsreihen zur Beurteilung von Kopfstellungen zeigte sich eine deutliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung einer Kippung des Kopfes nach vorn und einer Kippung des Kopfes nach hinten. Eine Kippung nach vorn wurde von Testpersonen erst ab einer Auslenkung von mehr als 10° sicher wahrgenommen, währenddessen eine Kippung nach hinten bereits ab 5° sicher festgestellt werden konnte. Hieraus lässt sich die zweite Einschränkung ableiten: |
2. |
Das menschliche Auge ist auch bei Betrachtung eines dreidimensionalen Objektes in nur eingeschränktem Maße fähig, dessen Stellung im dreidimensionalen Raum, d.h. dessen Auslenkung aus der Null-Grad-Position sicher und korrekt zu erfassen. Anhaltspunkte bieten dabei Symmetrieachsen und anderweitige Orientierungslinien. Je symmetrischer der Aufbau eines Objektes ist, desto besser kann dessen Auslenkung aus der Null-Grad-Position und so die Stellung im Raum abgeschätzt werden. Bei einer fiktiven Teilung eines Kopfes entlang der Mittellinien aller drei Ebenen ergibt sich eine
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linke und rechte Gesichtshälfte, |
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eine obere und untere Gesichtshälfte sowie |
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eine vordere Kopfhälfte (mit Gesicht) und eine hintere Kopfhälfte (einschließlich Hinterhaupt). |
Zwischen dem oberen und unteren Gesichtsanteil sowie zwischen dem vorderen und hinteren Kopfanteil ist schon aus anatomischen Gründen keine Symmetrie gegeben, sodass zur Abschätzung der Position situationsangepasste Hilfslinien verwendet werden müssen. |
Rz. 41
Um die Kippung eines Kopfes abzuschätzen, hat sich eine gedachte, horizontal verlaufende Verbindung zwischen beiden Ohrläppchenunterrändern bewährt (Abb. 5). Je weiter sich der Kopf nach vorn gekippt darstellt, desto weiter liegt diese Linie im oberen Gesichtsanteil. Umgekehrt verläuft die Linie eher im unteren Gesichtsbereich, wenn der Kopf eine Kippung nach hinten aufweist. Der genaue Verlauf dieser Linie wird von der Morphologie des Gesichtes und der Lage beider Ohren bestimmt und ist individuell verschieden.
Rz. 42
Um die Neigung eines Kopfes zu bestimmen, kann man sich der gleichen Hilfslinie bedienen (Abb. 6). Hierbei ist das Ausmaß der Auslenkung aus der Horizontalen nach rechts oder links zu bestimmen.
Eine scheinbare Symmetrie mit einer Symmetrielinie vertikal entlang des Nasenrückens (Abb. 7) existiert im menschlichen Gesicht lediglich zwischen der linken und rechten Gesichtshälfte, wobei zahlreiche Untersuchungen dies widerlegen und insb. auf die Asymmetrie der Ohren hinweisen. Somit scheint die Drehung des Kopfes in der frontalen Perspektive aufgrund der scheinbaren Symmetrie in der Einschätzung am schwierigsten.
Abb. 5: Hilfslinien zur Einschätzung der Kopfkippung
Abb. 6: Hilfslinien zur Einschätzung der Kopfneigung
Abb. 7: Hilfslinien zur Einschätzung der Kopfdrehung
Rz. 43
Nach einer Analyse der Kopfhaltung der Person auf den Beweisbildern besteht im zweiten Schritt das wesentliche Ziel bei der Anfertigung der Vergleichsaufnahmen darin, die Perspektive des Täter- und Fahrerbildes hinsichtlich der Drehung, Neigung bzw. Kippung des Kopfes unter Verwendung der oben angeführten Orientierungs- und Hilfslinien so genau wie möglich nachzubilden.
Die Kombination aus Abschätzen der Kopfstellung der Person auf dem Vergleichsbild und der weitgehend vergleichbaren Ausrichtung der Kopfhaltung der beschuldigten Person erfordert Übung und Erfahrung. Im Allgemeinen sollten stets mehrere Bilder in ähnlichen Kopfhaltungen aus der entsprechenden Perspektive anfertigt werden, da dies die Chance erhöht, der Kopfhaltung auf den Beweisbildern weitgehend zu entsprechen.
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