Rz. 15

In allen Fällen erfolgt bei Beauftragung zunächst, vor der eigentlichen Gutachtenerstellung, eine Überprüfung der Qualität der Fahrer- bzw. Täterbilder (Beweisbilder) bzgl. ihrer grundsätzlichen Eignung. Manchmal wird diesbezüglich ein eigenständiger Gutachtenauftrag i.S.e. Vorgutachtens erteilt.

Kriterien bzgl. der Bildeignung sind:

1.

Prinzipielle Erkennbarkeit der zu beurteilenden Struktur (in den meisten Fällen der Kopf der betreffenden Person).

In seltenen Fällen kann es z.B. infolge einer Lichtreflexion an einer Fahrzeugfrontscheibe bei fehlendem Polarisationsfilter der Kamera dazu kommen, dass sich keine der im Fahrzeug befindlichen Personen bildlich darstellen lässt.

2.

Qualität der Merkmalsdarstellung, abhängig u.a. von:

Auflösung,
Abbildungsfehler u.a. durch das optische System der Kamera und
Überlagerung mit Bildartefakten.

Die Auflösung des Bildmaterials wird zum einen durch die Bedingungen i.R.d. Bildaufnahme (z.B. Kamera-Objekt-Abstand), zum andern durch Faktoren wie die technischen Determinanten des verwendeten Überwachungssystems, der Art der Datenspeicherung sowie dem Wiedergabemedium bestimmt (s. Rdn 22 ff., "Technische Aspekte bei digitaler Bildspeicherung").

Der Kamera-Objekt-Abstand beeinflusst nicht nur die Auflösung der Aufnahme, sondern ist auch für Abbildungsfehler verantwortlich. Bzgl. des Kamera-Objekt-Abstandes gilt: Je geringer dieser Abstand auf den Beweisbildern ist, umso größer ist das Gesicht und die Anzahl der hierfür zur Verfügung stehenden Bildpunkte. Besteht ein zu geringer Abstand zwischen Täter/Fahrer und der Kamera, kommt es zur sog. "tonnenförmigen" Verzeichnung mit Vergrößerung der zentralen Bildanteile und dem gleichzeitigen Zurücktreten der Bildperipherie, was zu einer unproportionalen Darstellung der abgebildeten Person führt. Dieser Effekt tritt hauptsächlich bei strafrechtlich relevanten Fällen (z.B. Überwachungskameras an Bankautomaten), seltener auch bei Ordnungswidrigkeiten auf. Ist hingegen das Beweisbild aus einem sehr großen Abstand heraus aufgenommen, stellt sich das Gesicht eher klein und mit weniger Bildpunkten dar, was die Auflösung und die Erkennbarkeit der Merkmale einschränkt. Bei sehr großem Abstand tritt eine "kissenförmige" Verzeichnung auf, die mit einer Betonung der Bildperipherie und einem Zurücktreten zentraler Bildanteile einhergeht.

Das Vorliegen einer Verzeichnung kann im Rahmen einer Begutachtung insb. bei einem Vergleich von Proportionen zu Fehleinschätzungen führen.

Auch eine Überlagerung durch Bildartefakte schränkt die Erkennbarkeit von Merkmalsdetails ein.

3.

Quantität der dargestellten Merkmale, abhängig von:

der perspektivischen Darstellung des Gesichtes bzw. des Kopfes sowie
einer möglichen Teilbedeckung des Gesichtes (Maskierung, Sonnenbrille o.Ä.) bzw. eine Überdeckung durch Fahrzeuginnenstrukturen (Verkehrsordnungswidrigkeiten) oder durch Raumelemente (Scheckkartenbetrug, Raubüberfälle).

Während bei vollständig vermummten Tätern oder Fahrern generell von einem Vergleich der Gesichter abgesehen werden muss (wohingegen ein Vergleich weiterer körperlicher Merkmale möglich ist[16]), kann bei teilvermummten Personen ein Vergleich der sichtbaren Gesichtsanteile durchaus Hinweise auf Identität oder Nichtidentität erbringen.

 

Rz. 16

Prinzipiell sind Aufnahmen aus jeder Perspektive verwendbar, wobei folgende Einteilung existiert:

1. Frontale Aufnahmen, die das gesamte Gesicht zeigen, die Strukturen im Inneren der Ohrmuschel kommen hierbei nur eingeschränkt zur Darstellung.
2. Die Halbseitenperspektive, die die jeweils der Kamera zugewandte Gesichtsseite vollständig, angrenzende Gesichtsteile (die gegenüberliegende Gesichtsseite und der Ohrbereich) nur teilweise darstellt.
3. Die seitliche Perspektive, die eine Beurteilung des Profils sowie eine Frontalbetrachtung des der Kamera zugewandten Ohres ermöglicht.
 

Rz. 17

Die einzelnen Perspektiven können zum einen orthogonal, daneben jedoch auch aus einer Kameraperspektive von oben bzw. unten aufgenommen worden sein, was die sichtbaren Merkmalsanteile weiter einschränkt.

 

Rz. 18

Aufnahmen der Kopfrückseite bzw. des Kopfes von seitlich/hinten sind wegen der Darstellung nur weniger Merkmalskomplexe (Ohranteile, Haaransatz) kritisch zu betrachten.

Grds. gilt, je weniger Anteile des Gesichtes sichtbar sind, desto besser muss die Auflösung und die Detaildarstellung der morphologischen Merkmale sein, um noch ein aussagekräftiges Gutachten erstellen zu können. Besondere Aussagekraft besitzen dabei individualtypische Merkmale wie Narben, Tätowierungen, Leberflecken u.a. Ein Konsens bzgl. einer Mindestanzahl von erkennbaren Merkmalen existiert nicht. Ist hingegen das gesamte Gesicht einzusehen, so kann bei der Beurteilung eine Einschränkung der Auflösung toleriert werden. Aber auch die Lokalisation der einsehbaren Gesichtsareale ist von Bedeutung. So finden sich z.B. im Ohrbereich mehr und individuellere Merkmale als bei der Darstellung einer Wangenregion. Letztendlich muss in jedem Fall eine ...

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