Rz. 65

Deskriptive Vergleichsgutachten setzen sich aus drei Elementen zusammen:

der Extraktion der physischen Merkmale,
der Eingrenzung der Bevölkerungshäufigkeit und
der Einschätzung der Erkennbarkeit.[28]
[28] Gurka A (2001) Anthropologische Vergleichsgutachten als Beweismittel im Strafverfahren. Diplomarbeit Fachhochschule für Polizei, Villingen-Schwenningen.

(1) Extraktion der Merkmale

 

Rz. 66

Bei der Extraktion der Merkmale gilt der Grundsatz, dass die durch den Gutachter aufgeführten Merkmale und die Beschreibung ihrer Ausprägungen auch für Ungeübte nachvollziehbar sein müssen. Einen sog. "morphologischen Blick" des Gutachters, der mehr sieht als jeder andere Betrachter, gibt es nicht. Die Sachkunde des Gutachters liegt nicht im "Erahnen" von Merkmalsausprägungen sondern in der Bewertung ihrer Erkennbarkeit (auch im Hinblick auf den Einfluss bildtechnischer Faktoren) und ihrer Bedeutung für Identität bzw. Nicht­identität. Auf die Einschätzung der Bevölkerungshäufigkeit wird später noch eingegangen.

 

Hinweis

Eine gewisse Vorsicht empfiehlt sich bei der Einschätzung des Alters und des Geschlechtes oder der ethnischen Zugehörigkeit der Person auf dem Beweisbild,[29] da hier visuelle Eindrücke infolge einiger Einflussfaktoren (Beleuchtung, Auflösung u.a.) täuschen können. So kann z.B. einerseits ein verschwommenes Bild i.S.e. Weichzeichnens ein niedrigeres Alter vortäuschen, da die Zeichen des Alters (Falten, Furchen, Pigmentflecke, Hautelastizität etc.) auf diesen Bildern nicht erkennbar sind.[30] Andererseits lassen große Kontraste eine Person älter erscheinen. Sichere, immer erkennbare morphologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern existieren ebenfalls nicht, vielmehr findet sich eine Vielzahl von Merkmalsübergängen, sodass auch hier bei der Einschätzung Vorsicht geboten ist.

 

Rz. 67

Im Folgenden ist eine Möglichkeit der systematischen Auflistung von Merkmalen im Kopf- und Gesichtsbereich aufgezeigt, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Andere Einteilungen, eine andere Reihenfolge oder die Verwendung hiervon abweichender Merkmale sind ebenfalls möglich.

 

Rz. 68

Gesamteindruck Gesicht:

Gesichtsform,
Gesichtsprofil,
Gesichtsproportionen,
Gesichtskontur rechts/links,
Stirn,
Schläfen,
Jochbeine,
Wangen,
knöcherner Unterkiefer,
Kinn,
Übergang von Kinn und Wange zu Mundboden und Hals,
Furchen/Falten.
 

Rz. 69

Behaarung:

Kopfbehaarung,
Stirnhaaransatz,
Schläfenhaaransatz rechts/links,
Nackenhaaransatz,
Koteletten,
Oberlippenbart,
Unterlippen/Kinnbart,
Wangenbart,
Haarfarbe,
Haarstruktur,
Haarfülle,
Haarlänge.
 

Rz. 70

Augenbrauen:

Höhe,
Breite,
Haarfarbe,
Dichte,
Form,
Rätzel,
Haarrichtung,
Brauenkopf.
 

Rz. 71

Augen:

Oberlid (Augenhöhlenanteil, Lidplattenanteil, Lidrand),
obere Augenhöhlenfurche,
Deckfalte,
Umschlagkante der Deckfalte,
Augenwinkel (außen, innen),
Lidspalten,
untere Augenhöhlenfurche,
Unterlid (Augenhöhlenanteil, Lidplattenanteil, Lidrand),
Tränensäcke,
Hautfurchen,
Wimpern.
 

Rz. 72

Nase:

Nasensattel,
Nasenrücken,
Nasenkuppe,
Nasenflügel rechts/links (hinterer/unterer Ansatz, Unterrand),
Nasenflügelfurche,
Nasenabhänge,
Nasenboden,
Nasenöffnung,
Nasen-Lippen-Furche,
Übergang zum Oberlidraum.
 

Rz. 73

Mund:

Philtrum (Nasen-Lippen-Rinne),
häutige Oberlippe,
Oberlippenrot mit Nasen-Lippen-Rinneneinschnitt,
Mundspalt,
Mundwinkel,
Unterlippenrot,
häutige Unterlippe,
Abgrenzung zum Kinn,
Hautfurchen (Nasen-Lippen-Furche).
 

Rz. 74

Kinn:

Form,
Längskerbung (Kinnkerbe), Einkerbung (Kinngrube), Höcker,
Abgrenzung zur Wange,
Kinn-Lippen-Furche,
Mundbodenweichteile,
Hals.
 

Rz. 75

Ohr:

Form,
Oberrand,
Hinterrand,
Ohrläppchen,
Helix,
Antihelix,
oberer Schenkel,
unterer Schenkel,
Dreiecksgrube,
Längsfurche,
Schrägfurche,
Tragus,
Antitragus,
Zwischenhöckereinschnitt,
Darwin'sches Höckerchen,
oberer Teil der Ohrmuschel,
unterer Teil der Ohrmuschel.
 

Rz. 76

Hautveränderungen:

Narben,
Muttermale,
Warzen,
Hauterkrankungen.
 

Rz. 77

Accessoires:

Körperschmuck (z.B. Piercing),
Brillen u.Ä.

Weiterführende Erläuterungen mit Skizzen und der Aufführung von Schemata zu den einzelnen Merkmalen und der Spanne ihrer Ausprägung finden sich bei einer Vielzahl von Autoren[31] wobei Rösing[32] mit der Zusammenfassung einzelner Autoren eine gute Übersicht bietet.

 

Rz. 78

Für jede der zu vergleichenden Personen sollte eine Liste mit erkennbaren Merkmalen und ihren Ausprägungen erstellt werden, wobei in den meisten Fällen mit dem Beweisbild begonnen wird, da dessen Qualität häufig die Anzahl der zu vergleichenden Merkmale limitiert.[33] Nur in seltenen Fällen finden sich bei einem Bildvergleich ausschließlich gleichartige bzw. ausschließlich differente Merkmalsausprägungen. I.d.R. empfiehlt es sich, gleichartig ausgeprägte und unterschiedliche Merkmale zusammenzufassen und einander ggü. zu stellen, wobei häufig eine der beiden Kategorien überwiegt und somit eine erste Tendenz erkenn...

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