Dr. med. Daniela Bellmann, Dr.-Ing. Steffen Brückner
Rz. 53
In einem Gutachten zur morphologischen Bildidentifikation sollten vor der eigentlichen Beurteilung folgende grundlegende Überlegungen angestellt und im Ergebnis dargelegt werden:
aa) Grundlagen der Identifikation lebender Personen anhand von Bilddokumenten
Rz. 54
Diese Ausführung stellt eine kurze Zusammenfassung der Problematik des Gegensatzes von Wiedererkennen und Identifizierens dar, dient dem allgemeinen Verständnis und wurde bereits in dem Kapitel "Wiedererkennen und Identifizieren" (Rdn 2) angesprochen.
bb) Anfertigung der Vergleichsaufnahmen und Maßnahmen zur Identitätssicherung
Rz. 55
Bzgl. der Vorgehensweise bei der Anfertigung der Vergleichsaufnahmen und die damit einhergehende Identitätssicherung wird auf die Ausführungen zu den Vergleichsbildern (Rdn 29) verwiesen.
cc) Beweisbilder – Art, Qualität und Bearbeitung
Rz. 56
Es sollte dargelegt werden, auf Grundlage welcher Art von Beweisbildern das Gutachten erstellt wurde. Als Beweisbilder können in Reihenfolge abnehmender Qualität Bilddateien, Originalfilme, Hochglanzabzüge oder Thermoprints Verwendung finden. Insb. bei der Überlassung von Bilddateien sind unkomprimierte Formate zu bevorzugen. Zusätzlich ist eine Überprüfung der Qualität des Beweisbildes hinsichtlich der im Kapitel "Beweisbilder" dargelegten Einflussfaktoren vorzunehmen (s. Rdn 15 ff.). Die Gesichtsanteile, die aufgrund einer qualitativ eingeschränkten Darstellung, der Perspektive oder infolge der Überdeckung durch anderweitige Strukturen nur sehr eingeschränkt bzw. auch überhaupt nicht zum Merkmalsvergleich geeignet sind und somit nicht in die Begutachtung einfließen, müssen benannt werden. Darüber hinaus muss der Originalzustand der Beweisbilder dokumentiert werden und alle Schritte der Bildbearbeitung sind detailliert darzulegen (s.a. Rdn 15 ff.).
dd) Mimische Differenzen auf den zu vergleichenden Bildern
Rz. 57
Aufgrund des Einflusses der Mimik auf die Darstellung morphologischer Gesichtsmerkmale, insb. auf den Verlauf von Hautfurchen und -falten, empfiehlt sich bereits im Vorfeld ein diesbezüglicher Vergleich zwischen Fahrer- bzw. Täterbild und dem Vergleichsbild der vermuteten Person. Bestehen mimische Unterschiede, müssen diese benannt werden, da sie die Aussagekraft eines Gutachtens einschränken können. Alle festgestellten Merkmalsdifferenzen sind im Gutachten dann dahin gehend zu überprüfen, ob diese auch durch die differente Mimik bedingt sein könnten. Sollte neben einem Vergleichsbild mit neutraler Mimik ein weiteres mit einer dem Fahrer bzw. Täter weitgehend entsprechenden Mimik vorliegen, so kann diese Aufnahme, da sie die Aussagekraft erhöht, in das Gutachten mit einbezogen werden. Ist auf den Beweisbildern die Mimik der abgebildeten Person nicht deutlich erkennbar, so muss auch diese Feststellung zum Ausdruck gebracht werden.
ee) Vorauswahl
Rz. 58
Morphologische Gutachten, die im Rahmen eines Strafverfahrens erstellt werden, weisen eine Besonderheit auf, die bei Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren seltener zum Tragen kommt. Nach Raubüberfällen wird häufig ein Täterbild innerhalb der Polizei jedoch teilweise auch über öffentliche Medien (Fernsehen, Zeitungen, Aushänge) der Bevölkerung bekannt gegeben, um Hinweise auf mögliche verdächtige Personen zu erhalten. Ähnliches geschieht, wenn Polizeibeamte im Umfeld des ermittelten Fahrzeughalters das Beweisfoto vorzeigen und um Angaben zu möglichen Personen bitten. Dass es sich bei diesem Vorgang um ein Wiedererkennen handelt, geht aus den Ausführungen in Kapitel "Identifizieren und Wiedererkennen" hervor (Rdn 2 ff.). Führt ein derartiges Verfahren zu einem Hinweis und daraus folgend zu einer beschuldigten Person, so liegt eine sog. Vorauswahl vor. Hierbei ist aufgrund des Wiedererkennens von einer gewissen Ähnlichkeit zwischen dem Täter oder dem Fahrer und dem Beschuldigten auszugehen. Dies kann, muss jedoch nicht, in zumindest einigen Gesichtsbereichen ähnliche Merkmalsausprägungen erwarten lassen. Es liegt hierbei jedoch generell ein Vergleich zweier Personen vor, bei dem die Vergleichsperson, der Beschuldigte, nicht mehr allein zufällig aus der Gesamtbevölkerung ausgewählt wurde, sondern aufgrund einer Ähnlichkeit. Dies hätte Auswirkungen auf statistische Angaben bzgl. der Merkmalshäufigkeiten, die jedoch lediglich für ausgewählte Bevölkerungsgruppen und nicht für die deutsche oder mitteleuropäische Gesamtbevölkerung existieren (s.a. Kapitel "Einschätzung der Merkmalshäufigkeiten"). Der Vorauswahl kommt somit lediglich eine Signalfunktion zu, gleichartig ausgebildete Merkmale genau zu überprüfen und ein gesondertes Augenmerk auf ungleich ausgeprägte Merkmale zu legen. Die allgemeine Vorgehensweise bei der Erstellung von Gutachten bleibt davon jedoch unberührt.