Rz. 58

Morphologische Gutachten, die im Rahmen eines Strafverfahrens erstellt werden, weisen eine Besonderheit auf, die bei Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren seltener zum Tragen kommt. Nach Raubüberfällen wird häufig ein Täterbild innerhalb der Polizei jedoch teilweise auch über öffentliche Medien (Fernsehen, Zeitungen, Aushänge) der Bevölkerung bekannt gegeben, um Hinweise auf mögliche verdächtige Personen zu erhalten. Ähnliches geschieht, wenn Polizeibeamte im Umfeld des ermittelten Fahrzeughalters das Beweisfoto vorzeigen und um Angaben zu möglichen Personen bitten. Dass es sich bei diesem Vorgang um ein Wiedererkennen handelt, geht aus den Ausführungen in Kapitel "Identifizieren und Wiedererkennen" hervor (Rdn 2 ff.). Führt ein derartiges Verfahren zu einem Hinweis und daraus folgend zu einer beschuldigten Person, so liegt eine sog. Vorauswahl vor. Hierbei ist aufgrund des Wiedererkennens von einer gewissen Ähnlichkeit zwischen dem Täter oder dem Fahrer und dem Beschuldigten auszugehen. Dies kann, muss jedoch nicht, in zumindest einigen Gesichtsbereichen ähnliche Merkmalsausprägungen erwarten lassen. Es liegt hierbei jedoch generell ein Vergleich zweier Personen vor, bei dem die Vergleichsperson, der Beschuldigte, nicht mehr allein zufällig aus der Gesamtbevölkerung ausgewählt wurde, sondern aufgrund einer Ähnlichkeit. Dies hätte Auswirkungen auf statistische Angaben bzgl. der Merkmalshäufigkeiten, die jedoch lediglich für ausgewählte Bevölkerungsgruppen und nicht für die deutsche oder mitteleuropäische Gesamtbevölkerung existieren (s.a. Kapitel "Einschätzung der Merkmalshäufigkeiten"). Der Vorauswahl kommt somit lediglich eine Signalfunktion zu, gleichartig ausgebildete Merkmale genau zu überprüfen und ein gesondertes Augenmerk auf ungleich ausgeprägte Merkmale zu legen. Die allgemeine Vorgehensweise bei der Erstellung von Gutachten bleibt davon jedoch unberührt.

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