Dr. med. Daniela Bellmann, Dr.-Ing. Steffen Brückner
Rz. 102
In vielen Fällen wird der Gutachter zunächst mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. In einigen Fällen wird dieses Gutachten dann im Rahmen einer Verhandlung mündlich vertreten.
Die Anberaumung eines Verhandlungstermins kann jedoch auch in den Fällen notwendig werden, in denen auf andere Art und Weise keine Vergleichsaufnahme der betreffenden Person zustande kommt. In diesen Fällen kann das Gericht folgendermaßen verfahren:
1. |
I.R.d. Termins wird nur das Vergleichsbild angefertigt, das Gutachten wird später schriftlich erstellt und dem Gericht übersandt. |
2. |
Nach der Anfertigung der Vergleichsbilder wird die Verhandlung für eine gewisse Zeit unterbrochen, in der der Gutachter das Gutachten erstellt und sofort anschließend mündlich vertritt. |
Rz. 103
Zur Vorbereitung eines derartigen Verhandlungstermins sollten durch den Gutachter anhand der Ermittlungsakte das Originalbildmaterial angefordert und aus den daraus erstellten Beweisbildern die morphologischen Merkmale des Fahrers bzw. des Täters extrahiert werden. Im Termin selbst werden auf jeden Fall zunächst die Vergleichsaufnahmen angefertigt. Sollte vom Gericht eine sofortige Erstellung des Gutachtens gewünscht werden, so werden in einer Verhandlungspause, die je nach Schwierigkeitsgrad oder Umfang der Begutachtung variiert, die Merkmale der Vergleichsperson mit denen des Fahrers bzw. des Täters verglichen und es wird ein Wahrscheinlichkeitsprädikat erstellt. Hierbei ist es aufgrund des eher engeren zeitlichen Rahmens nicht notwendig, das Gutachten vollständig in schriftlicher Form abzufassen, sondern es genügt, die Hauptpunkte, die zur Erstattung des mündlichen Gutachtens notwendig sind, kurz zu skizzieren. Die verglichenen Merkmale sowie die Grundlagen, auf denen die Einschätzung der Identitätswahrscheinlichkeit beruht, sollten in jedem Fall festgehalten werden, um eine Reproduktion des Gutachtens zu ermöglichen. In seltenen Fällen kann sich der Vergleich der Personen sehr schwierig gestalten. Dann ist es ratsam, die Verhandlung abzubrechen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen, um dem Gutachter die Möglichkeit zu geben, die einzelnen Faktoren in Ruhe gegeneinander abzuwägen und im Zweifelsfall einen Kollegen als Zweitmeinung bzw. als Korrektor hinzuzuziehen. Keinesfalls sollten Identitätsgutachten unter Zeitdruck erstattet werden, da dies der Grundlage, der ruhigen Betrachtung und Abwägung von Merkmalen widerspricht.
Rz. 104
Bei der Erstattung mündlicher Gutachten ist ein weiterer Aspekt zu beachten: Der Merkmalsvergleich von Personen sollte nur an gleichdimensionalen Medien stattfinden. Bei einer Fotografie handelt es sich um eine zweidimensionale Darstellung eines in der Realität dreidimensionalen Objektes. So ist der Vergleich eines Fahrer- bzw. Täterbildes mit einer realen Person nicht sachgerecht. Der direkte Vergleich einer dreidimensionalen Person mit einem zweidimensionalen Bild kann zu fehlerhaften Bewertungen führen, da das Auge die Dreidimensionalität nicht ohne Weiteres auf ein zweidimensionales Bild reduzieren kann. Dies schränkt die Güte des Vergleichs und damit des Gutachtens stark ein.