I. Verbindlichkeit, § 1827 Abs. 1 S. 2 BGB
Rz. 11
Die Patientenverfügung als Ausdruck der Selbstbestimmung soll es einem Menschen ermöglichen, im Voraus für den Fall eines Zustands, in dem Willensäußerungen nicht mehr möglich sind, seine Wünsche und Vorstellungen festzulegen. Daher dürfte es für den Verfügenden das Hauptanliegen sein, seine Patientenverfügung als für den Betreuer/Bevollmächtigten verbindlich zu gestalten. Die gesetzliche Regelung macht dies unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Gem. § 1827 Abs. 1 S. 2 BGB kann eine Patientenverfügung, unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung des Patienten (§ 1827 Abs. 3 BGB), für einen Betreuer oder Bevollmächtigten (§ 1827 Abs. 6 BGB) verbindlich sein; so äußerte sich der BGH wie folgt:
Zitat
"Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat. Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck zu verschaffen."
Hierzu bedarf es zum einen einer Patientenverfügung, die den Anforderungen des § 1827 Abs. 1 S. 1 BGB entspricht, (Einwilligungsfähigkeit, Volljährigkeit und Schriftform), sowie zwei weiterer Voraussetzungen:
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Die Verfügungen müssen bestimmte Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe betreffen, die bei Abfassung der Patientenverfügung nicht unmittelbar bevorstanden. |
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Die Verfügungen des Patienten müssen auf seine aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. |
1. Bestimmtheit des Eingriffs
Rz. 12
§ 1827 Abs. 1 S. 1 BGB spricht von "bestimmten" Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen. Unstreitig dürfte sein, dass allgemeine Aussagen des Verfügenden wie z.B. "ich möchte würdevoll sterben" keine unmittelbare Bindungswirkung entfalten. Während die Anforderungen im Urteil des BGH vom 17.9.2014 noch wie folgt beschrieben wurden:
Zitat
"Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt. Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann."
ist der jüngeren Entscheidung des BGH vom 6.7.2016 zu entnehmen, dass die unmittelbare Bindungswirkung nur dann anzunehmen ist, wenn der Patientenverfügung
Zitat
"konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können".
2. Bei Abfassung der Patientenverfügung nicht unmittelbar bevorstehender Eingriff
Rz. 13
Unmittelbar bevorstehende medizinische Maßnahmen werden von einer Patientenverfügung nicht erfasst. Da die Errichtung einer Patientenverfügung aber voraussetzt, dass der Betroffene seinen Willen kundtun kann, dürfte eine Willensäußerung für zeitnah anstehende Maßnahmen immer möglich sein.
3. Zutreffen der Verfügungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation
Rz. 14
In klaren Worten wurde durch den BGH bestätigt, dass eine unmittelbare Bindungswirkung der Patientenverfügung voraussetzt, dass sie erkennen lässt, dass sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll. "Die Konkretisierung kann sich im Einzelfall auch durch Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben."
Der Betreuer oder Bevollmächtigte (§ 1827 Abs. 1, 6 BGB) hat im Entscheidungsfall zu überprüfen, ob die getroffenen Verfügungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Es empfiehlt sich dabei für den Verfügenden, im Hinblick auf die Lebens- und Behandlungssituation seine Beweggründe für die Patientenverfügung zu schildern, ggf. in Form eines "Vorworts zur Patientenverfügung".
Da der Verfügende in der Regel nicht in der Lage sein dürfte, die Entwicklung seiner Lebens- und Behandlungssituation bei Errichtung exakt prognostizieren zu können, kann der gesetzlichen Anforderung, dass die Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen muss, dergestalt begegnet werden, dass bei Veränderungen der Lebens- oder Behandlungssituation eine erneute Unterzeichnung der Patientenverfügung unter Datumsangabe vorgenommen wird.
4. Regelmäßige Erneuerung?
Rz. 15
Die Zeitspanne, die zwischen...