Rz. 244
Der BGH musste sich 1997 erstmals mit der bis dahin noch nicht entschiedenen Problematik befassen, ob mehrere Einkommen durch privatrechtliche Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger zusammengerechnet werden können. Folgt man dieser Auffassung, ist der nach der Zusammenrechnung ermittelte abgetretene Betrag dem Schuldnervermögen entzogen. Eine nachrangige Pfändung mit gerichtlicher Zusammenrechnung nach § 850e Nr. 2 ZPO geht dann zunächst leer aus.
Rz. 245
Unter Hinweis auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des 2. SGB-ÄndG v. 13.6.1994 konnte sich der BGH recht einfach darauf beschränken, diese private Zusammenrechnung mit der gleichzeitigen Abtretung für unwirksam zu halten. Da auf die Pfändung der Sozialleistungsansprüche nach §§ 53, 54 SGB I die Vorschriften über die Pfändung von Arbeitseinkommen grds. Anwendung finden, können mehrere Sozialleistungsansprüche wie mehrere Arbeitseinkommen behandelt werden.
Rz. 246
Jedoch musste (früher) eine doppelte Billigkeitsprüfung vorgenommen werden: Zunächst war die Billigkeit der Pfändung der Sozialleistung an sich zu bejahen (§ 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I a.F.) und dann kumulativ die Billigkeit für die Zusammenrechnung (§ 850e Nr. 2a ZPO a.F.).
Rz. 247
Da aber in der vorliegenden Sache weder das Vollstreckungsgericht noch der Sozialleistungsträger eine solche Prüfung in irgendeiner nachprüfbaren Entscheidung oder Verfügung getroffen hatte, verweigerte der BGH der privaten Abtretung mit gleichzeitiger Zusammenrechnung die Anerkennung und gab dem Gläubiger der nachrangigen gerichtlichen Pfändung Recht.
Rz. 248
Hinweis
Der Bezug mehrerer Rentenansprüche dürfte in der täglichen Praxis nicht unüblich sein. Ebenfalls denkbar ist die Abtretung dieser monatlich ausgezahlten Beträge an Banken, Versicherungen oder andere Institute zur Sicherheit gegenwärtiger oder künftiger Ansprüche des Zessionars. Aus der Sicht des Schuldners wird hier ein Betrag abgetreten, der sich aus der Summe seiner Einkünfte errechnet. Hierin liegt rechtlich dann auch gleichzeitig eine Zusammenrechnung der Ansprüche. Ob dies zulässig ist, hat der BGH – unter Bezug auf die alte Rechtslage – nicht entschieden.
Rz. 249
Nach der Gesetzeslage ist festzuhalten, dass Sozialleistungsansprüche ab dem 13.6.1994 grds. dem Arbeitseinkommen gleichgestellt sind, die Pfändung erfolgt wie Arbeitseinkommen (§ 53 Abs. 3, § 54 Abs. 4 SGB I). Eine Billigkeitsprüfung findet nicht mehr statt. Ebenfalls weggefallen ist die Billigkeitsprüfung bei der Zusammenrechnung (§ 850e Nr. 2a ZPO). Fraglich ist nur, ob hieraus der Schluss gezogen werden kann, dass nunmehr auch eine Abtretung mit einer gleichzeitigen Zusammenrechnung durch den Schuldner oder den Sozialleistungsträger bestimmt werden kann.
Rz. 250
Diese Frage könnte durchaus positiv beantwortet werden. Da der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens ebenso abtretbar ist wie der entsprechende Teil einer Sozialleistung, muss dies auch für die Zusammenrechnung mehrerer dieser Anspruchsarten gelten. Der Sozialleistungsträger als Drittschuldner ist allerdings nicht befugt, eine solche Anordnung gegen den Willen des Schuldners zu treffen. Er wird auch nicht im Rahmen einer gerichtlichen Zusammenrechnung als Antragsberechtigter angesehen.
Rz. 251
Solange keine Pfändung der Einkünfte vorliegt, kann auch nicht das Vollstreckungsgericht zur Ermittlung der pfändbaren Beträge und der Anordnung, welchem Einkommen der unpfändbare bzw. nichtabtretbare Teil zu entnehmen ist, angegangen werden (vgl. § 850e Nr. 2 ZPO, der von der Zusammenrechnung bei der Pfändung spricht).
Rz. 252
Letztlich bleibt dann noch der Schuldner selbst im Rahmen seiner Zession auf Anraten oder Drängen des Gläubigers, da ansonsten die Abtretung zur Sicherheit nicht anerkannt wird. Da nach derzeitigem Recht eine solche Zusammenrechnung aufgrund formlosen Antrages des Gläubigers gleichzeitig mit der Pfändung der Bezüge oder nachträglich gestellt werden kann und dem Antrag durch das Vollstreckungsgericht auch ohne jede weitere Prüfung stattzugeben ist (mangels Billigkeitsprüfung), spricht grds. nichts dagegen, wenn die Parteien eine solche Zusammenrechnung auch im Wege der Abtretung vereinbaren. Der zeitlich nach der Vereinbarung über die Zusammenrechnung erwirkte gerichtliche Beschluss hat dann Nachrang.
Rz. 253
Bei der Abtretung mehrerer Arbeitseinkommen entscheidet über eine Zusammenrechnung nach § 850e Nr. 2 ZPO das Prozess-, nicht das Vollstreckungsgericht, so der BGH in einer Grundsatzentscheidung. Schon der Wortlaut der Vorschrift spricht dafür, dass nur ein Pfändungsgläubiger einen Antrag nach § 850e Nr. 2 ZPO stellen kann, denn es heißt ausdrücklich, dass mehrere Arbeitseinkommen auf Antrag vom Vollstreckungsgericht bei der Pfändung zusammenzurechnen sind. Ob die Regelung des § 850e Nr. 2 ZPO bei der Abtretung von Forderungen entsprechend anwendbar ist, erscheint dem BGH zweifelhaft. Aus § 400 BGB ergibt sich, dass Abtretung und Pfändung einer Forderung im Hinblick auf den Schuldne...