Rz. 296
In der Vergangenheit wurde vielfach vertreten, dass, wenn in dem Urteil, dem sonstigen Vollstreckungstitel oder in der Anspruchsbegründung keine Feststellungen zur Schuldform getroffen wurden und auch der Schuldner bei einer eventuellen Anhörung keine weiteren Erkenntnisse vorträgt, das Vollstreckungsgericht selbstständig prüfen muss, ob eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung vorliegt. Hierzu müsse der Sachverhalt unstreitig sein oder anhand von Urkunden angenommen werden können.
Rz. 297
Falls der Vortrag des Gläubigers dem Vollstreckungsgericht jedoch nicht genügt, um das Pfändungsprivileg in Anspruch zu nehmen, muss der Gläubiger Feststellungsklage erheben. Das Rechtsschutzinteresse für eine solche Feststellungsklage ist unstreitig. Der BGH hatte allerdings die Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts (Kompetenzübergriff, geringere Richtigkeitsgewähr, Gefahr der Überforderung) in diesen Fällen verneint. Auch die Rechtswirkungen der im Vollstreckungsverfahren erzielten Entscheidung bleiben hinter denjenigen eines Feststellungsurteils zurück. Die Feststellung des Prozessgerichts wirkt für jede weitere Vollstreckung aus dem Urteil, während die Einzelentscheidung des Vollstreckungsgerichts nicht in materieller Rechtskraft erwächst.
Rz. 298
Im Rahmen einer Rechtsbeschwerde hat der BGH in seinem grundlegenden Beschl. v. 26.9.2002 richtungsweisend entschieden:
Zitat
"Ist in dem zu vollstreckenden Titel keine oder nur eine vertragliche Anspruchsgrundlage genannt, kann der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren ohne Zustimmung des Schuldners nicht mehr nachweisen, dass der titulierte Anspruch auch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht."
Rz. 299
Damit ist die strittige Frage endgültig entschieden. Der Deliktsanspruch muss sich aus dem Titel selbst (Urteilstenor oder Entscheidungsgründen) ergeben. Der Anspruch muss in materiell-rechtlicher Sicht geprüft worden sein, eine bloße Angabe im Vollstreckungsbescheid hat keinerlei Aussagekraft. Das Vollstreckungsgericht ist nicht mehr befugt, die Voraussetzungen des § 850f Abs. 2 ZPO selbstständig zu prüfen. Es obliegt dem Gläubiger, bereits im Erkenntnisverfahren eine entsprechende Feststellung titulieren zu lassen.
Rz. 300
Allerdings dürfte der Hinweis des BGH, dem Gericht eine Urkunde vorzulegen, in welcher der Schuldner einer Pfändung in erweitertem Umfang im Hinblick auf einen Deliktsanspruch zustimme, kaum weiterhelfen. Es entspricht nicht der Vollstreckungspraxis, dass der Schuldner einen Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung freiwillig anerkennt und in einer gerichtsverwertbaren Urkunde zu seinen eigenen Lasten gegenzeichnet. Wenn sich für den Gläubiger die Erkenntnisse erst später ergeben, bleibt ihm nur der u.U. mehrjährige Weg einer kostenträchtigen Feststellungsklage.
Rz. 301
Mit Beschluss v. 5.4.2005 entschied der BGH – wie erwartet – dass durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheids der Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO durch den Gläubiger nicht geführt werden kann.
Rz. 302
Noch weiter geht das LG Frankenthal: Selbst mit einem Anerkenntnis- oder Versäumnisurteil könne der Gläubiger den Nachweis einer unerlaubten Handlung i.S.d. § 850f Abs. 2 ZPO nicht erbringen. Das wird aber auch anders gesehen. Anders als ein Vollstreckungsbescheid darf ein Versäumnisurteil erst nach der von § 331 Abs. 1 ZPO geforderten Schlüssigkeitsprüfung ergehen. Im Rahmen von § 850f Abs. 2 ZPO kann der Rechtspfleger in diesem Fall den Klagevortrag heranziehen, um die Frage zu beantworten, ob eine vorsätzliche unerlaubte Handlung vorliegt.
Rz. 303
Durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle kann der Gläubiger den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist.
Rz. 304
Hinweis
Gläubiger, die zugleich mit dem Forderungsanspruch den deliktischen Charakter des Anspruchs tituliert haben wollen, sollten vom Mahnverfahren Abstand nehmen. Auch wenn das Mahnverfahren einfacher und schneller ist, empfiehlt sich der sichere Weg des Klageverfahrens. Der Gläubiger sollte bereits im Erkenntnisverfahren unbedingt darauf hinwirken, dass die Qualifizierung einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Urteilstenor ausdrücklich erwähnt wird.