Rz. 136
Anhaltspunkt für eine gänzliche Nichtberücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten ist entweder der unpfändbare Grundbetrag nach der amtlichen Lohnpfändungstabelle oder der Sozialhilfebedarf.
Rz. 137
Eine Orientierung am Grundfreibetrag nach § 850c ZPO kommt z.B. nicht in Betracht, wenn der Unterhaltspflichtige mit dem Schuldner in einem Haushalt lebt, weil im Grundfreibetrag ein Anteil für Mietkosten enthalten ist, der jedoch nicht proportional zur Personenzahl steigt. In derartigen Fällen kommt daher eine Orientierung an den sozialhilferechtlichen Regelungen zur Existenzsicherung in Betracht (Grundsicherung – Regelbedarfsstufen nach § 28 SGB XII, Mehrbedarf nach § 30 SGB XII und eventuell Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge nach § 32 Abs. 1 SGB XII), die allerdings regelmäßig um 30–50 % zu erhöhen sind, weil die Regelungen über die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern sollen, sondern ihnen eine deutlich darüber liegende Teilhabe am Arbeitseinkommen erhalten bleiben muss. Bei einem Unterhaltsberechtigten, der einen eigenen Hausstand besitzt und aus seinem Einkommen Miete und die weiteren Grundkosten eines Haushalts zu leisten hat, wird sein Lebensbedarf i.d.R. so hoch sein wie der des Schuldners. Dann liegt eine Orientierung am Grundfreibetrag nahe. Für die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts ist daher zunächst die Höhe der eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten von maßgeblicher Bedeutung. Auch der Lebensbedarf ist bei der Entscheidung zu berücksichtigen, der aus dem Arbeitseinkommen des Schuldners zu bestreiten ist. Dabei ist auf den Unterhaltsbedarf, nicht auf den ggf. geringeren Unterhaltsanspruch (z.B. wenn der Tabellensatz aus dem verfügbaren Einkommen nicht gezahlt werden kann), abzustellen.
Rz. 138
Für ein Kind, das wegen eigener Einkünfte und Nichtberücksichtigung des Ehegatten des Schuldners als erste unterhaltsberechtigte Person nach der Tabelle zu § 850c ZPO bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags zu berücksichtigen wäre, ist nur der geringere pfandfreie Betrag nach der zweiten Stufe in Ansatz zu bringen. Steht dem Kind auch ein Unterhaltsanspruch gegen die ebenfalls erwerbstätige Kindesmutter zu, ist der pfandfreie Betrag zu halbieren.
Rz. 139
78 % des zwischen der für alle Unterhaltsberechtigten geltenden und der vorhergehenden Tabellenstufe zu errechnenden Differenzbetrags aus der Tabelle zu § 850c ZPO sind dem unpfändbaren Betrag nach der geltenden Tabellenstufe ohne Berücksichtigung des Angehörigen mit eigenem Einkommen hinzuzurechnen. Das AG Ibbenbüren errechnet diesen Prozentsatz wie folgt (nach Stand Juni 2021):
Das Einkommen des Unterhaltsberechtigten, der (teilweise) unberücksichtigt bleiben soll, resultiert aus Arbeitslosengeld/Arbeitslosengeld-II und beläuft sich auf 663,50 EUR. Demgegenüber beläuft sich sein sozialrechtlicher Bedarf auf:
Paare je Partner/Bedarfsgemeinschaft: |
401,00 EUR |
Angemessene Miete in Ibbenbüren 2 Personen (413,00 EUR) |
206,50 EUR |
Angemessene Heizkosten 2 Personen (97,50 EUR) |
48,75 EUR |
Gesamt: |
656,25 EUR |
Rz. 140
Dem sozialrechtlichen Bedarf ist laut aktueller BGH – Rechtsprechung ein Zuschlag hinzuzurechnen, der vorliegend mit 30 % für angemessen erachtet wird. Der Gesamtbedarf beträgt daher 853,13 EUR. Die eigenen Einkünfte des Angehörigen sind ins Verhältnis zu setzen mit dem oben genannten Betrag, der zum vollständigen Wegfall des Angehörigen führen würde. Dieses ergibt hier ein Verhältnis von 78 % Der Differenzbetrag aus der für alle Unterhaltsberechtigten geltenden und der vorhergehenden Tabellenstufe ist deshalb in diesem Verhältnis zusätzlich pfändbar.
Das AG Essen rechnet wie folgt: Grundbetrag 424,00 EUR + 50 % Erwerbstätigenzuschlag 212,00 EUR + Höchstgrenze Grundmiete für eine Person für die Stadt Essen 217,30 EUR = 853,30 EUR.
Die Höhe der Zuschläge wird zwischen 30 und 50 % als angemessen angesehen.
Im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsprüfung erscheint es angemessen, zur Frage des Umfangs der Nichtberücksichtigung des Unterhaltsberechtigten die sozialhilferechtlichen Maßstäbe (Grundbedarf, Existenzminimum) nach dem SGB II heranzuziehen. Eine Orientierung an den Pfändungsfreibeträgen des § 850c ZPO hat nicht zu erfolgen, denn dies hätte zur Folge, dass der in den Freibeträgen enthaltene Wohnkostenanteil doppelt berücksichtigt würde.
Rz. 141
Berechnung 1 (vollständige Nichtberücksichtigung)
Angenommen, das Gericht beschließt, dass ein Unterhaltsberechtigter des Schuldners vollständig nicht zu berücksichtigen ist. Dies muss im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zum Ausdruck kommen: "[…] bei der Berechnung des pfändbaren Betrags ist die unterhaltsberechtigte Person … unberücksichtigt zu lassen […]":
Der Schuldner ist verheiratet und hat zwei Kinder, Nettoeinkommen |
2.800,00 EUR |
Pfändbar bei drei Unterhaltsberechtigten |
123,43 EUR |
Pfändbar bei zwei Unterhaltsberechtigten |
276,13 EUR |
An den Gläubiger sind somit monatlich...