Rz. 256
Nach Abschluss einer Instanz ist der Prozessbevollmächtigte daher verpflichtet, die ihm zugestellte Entscheidung umgehend an den Mandanten zu übersenden und ihm den Zeitpunkt der Zustellung und die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung darzulegen. Die Übersendung kann mit einfachem Brief erfolgen. Eine Zugangskontrolle oder Nachfrage ist trotz Schweigens des Mandanten im Regelfall nicht geboten. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise, etwa dann, wenn der Anwalt den Verlust seiner Mitteilung befürchten muss, wenn ihm der Standpunkt seines Mandanten, unter allen Umständen ein Rechtsmittel einlegen und durchführen zu wollen, aus bestimmten Umständen bekannt ist oder wenn der Anwalt sonst weiß, dass der Mandant bei Instanzverlust in jedem Fall Rechtsmittel einlegen will. Bei Übersendung mit E-Mail ist wegen deren Unsicherheit zumindest eine Empfangsbestätigung anzufordern. Die Übersendung hat so rechtzeitig zu erfolgen, möglichst unmittelbar nach Eingang der Entscheidung, dass die Partei für ihre Entscheidung über die Rechtsmitteleinlegung eine angemessene Überlegungsfrist hat und den Auftrag hierzu rechtzeitig erteilen kann.
Der Rechtsanwalt hat den Auftraggeber nach Erschöpfung des Rechtsweges auch über die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde aufzuklären. Zur vorher durchzuführenden Erschöpfung des Rechtsweges gehört auch die Anhörungsrüge gegen die zuvor ergangene letztinstanzliche Entscheidung. Er hatte u.a. auch zu überprüfen, ob das Gericht den Wert der Beschwer richtig festgesetzt hat.
Nach neuem Recht hat er zu prüfen, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer möglichen Berufung 600,00 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder bei einer möglichen Nichtzulassungsbeschwerde die mit der Revision geltend zu machende Beschwer von 20.000,00 EUR (§ 26 Nr. 8 EGZPO) übersteigt.
Rz. 257
Des Weiteren hat der Rechtsanwalt den Mandanten oder dessen Vertreter oder Empfangsboten über die Aussicht eines Rechtsmittels aufzuklären. Diese Pflichten treffen den Rechtsanwalt auch ohne besonderen Auftrag des Mandanten. Hierbei handelt es sich um eine besondere Ausprägung der allgemeinen Pflicht, den Mandanten über die Prozessaussichten zu beraten (vgl. Rdn 179–191). Die Klärung der Frage, ob gegen ein Urteil Berufung eingelegt werden soll, darf der Rechtsanwalt grds. nicht allein einem Telefongespräch einer Kanzleikraft überlassen.
In welchem Umfang der Anwalt den Mandanten nach einem Instanzverlust über die Aussichten eines Rechtsmittels zu belehren hat, ist allerdings durch die Rechtsprechung des BGH noch nicht umfassend geklärt. Eine entsprechende Belehrungspflicht besteht jedenfalls – neben den formellen Voraussetzungen – bei ohne weiteres erkennbarer Divergenz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie in den Fällen, in denen der Fehler des Urteils auch darauf beruht, dass der Rechtsanwalt nicht sachgerecht gearbeitet, das unrichtige Urteil also mitverschuldet hat. Dann muss der Anwalt konkret auf die Umstände hinweisen, die ein Rechtsmittel aussichtsreich erscheinen lassen. Eine Belehrungspflicht besteht jedenfalls auch, wenn dem Anwalt ein Fehler des Gerichts auffallen muss, etwa weil in dem Beschluss des Amtsgerichts zum Versorgungsausgleich Versorgungsansprüche des anderen Ehepartners nicht berücksichtigt wurden oder schon gar keine Auskünfte zu dessen Versorgungsanwartschaften eingeholt wurden. Dagegen gehört es ohne gesonderten Auftrag nicht zu den Aufgaben des Berufungsanwalts, die Erfolgsaussicht einer Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfen. Hier ist zu erwägen, mit der Prüfung der Erfolgsaussichten einen am Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen. Der Anwalt darf jedenfalls die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht als schlechthin aussichtslos hinstellen, obwohl er deren Erfolgsaussichten nicht sorgfältig geprüft hat.
Er darf die Erfolgsaussichten einer Berufung nicht als offen oder mit einer Wahrscheinlichkeit von 50:50 darstellen, wenn keine Aussicht auf Erfolg besteht. Fehlerhaft ist der Rat eines Rechtsanwalts, ein zurückgenommenes Rechtsmittel könne später ohne weiteres wieder weiterverfolgt werden.
Soll der Rechtsanwalt am BGH wegen einer erfolglosen Nichtzulassungsbeschwerde auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, ist darzulegen, welcher nicht oder nicht ausreichend vorgetragene Zulassungsgrund zur Zulassung der Revision und später zu deren Erfolg geführt hätte. Soll der erste Regressanwalt seinerseits auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, der den vorgenannten Prozess gegen den BGH-Anwalt verloren hat, ist wiederum vorzutragen, was dieser Anwalt im Schadensersatzprozess hätte vortragen müssen, um Erfolg zu haben. Auch hier wären also die angeblich erfolgreichen Zulassungsgründe vorzutragen; die Kausalitätskette verlängert sich mit jeder Stufe der Regressprozesse, entsprechend der erforderliche Sachvortrag.