Rz. 152
Die Vertretung des Auftraggebers in einem gerichtlichen Verfahren ist das klassische Betätigungsfeld der Rechtsanwälte. Die Pflichten, die ein Rechtsanwalt dabei zu beachten hat, werden im Folgenden nach den einzelnen Verfahrensabschnitten dargestellt. Einzelne Pflichten bestehen bereits im Vorfeld eines Prozesses bzw. bei einer vor- oder außerprozessualen Erledigung eines streitigen Rechtsverhältnisses, etwa durch Abschluss einer Vergleichsvereinbarung. Im Vordergrund der folgenden Ausführungen steht die Vertretung des Auftraggebers vor den ordentlichen Gerichten in Zivilsachen. Die anwaltlichen Pflichten bei der Vertretung in einem gerichtlichen Verfahren gelten entsprechend auch für die Vertretung des Mandanten in einem Verwaltungsverfahren, insb. in einem Einspruchs- oder Widerspruchsverfahren, und in einem schiedsrichterlichen Verfahren.
Zur prozessualen Tätigkeit hat der BGH den allgemeinen Grundsatz aufgestellt, dass ein Rechtsanwalt, der die Beratung einer Partei in einem Zivilprozess übernimmt, zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er durch sein Verschulden bewirkt, dass sein Auftraggeber einen Rechtsstreit verliert, den er bei sachgemäßer Vertretung gewonnen hätte. Ein Rechtsanwalt, der eine Prozessvertretung übernimmt, ist grds. verpflichtet, die Prozesslage in rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Diese allgemeinen Aussagen sind bzgl. der einzelnen tätigkeitsbezogenen Pflichten des Rechtsanwalts zu präzisieren.
a) Beweissicherung
Rz. 153
Ein Rechtsanwalt ist nach Übernahme des Mandats verpflichtet, den rechtlich relevanten Sachverhalt zu ermitteln (vgl. Rdn 37–51). Dazu gehört die Pflicht, Beweise zu sichern.
aa) Befragung des Auftraggebers
Rz. 154
Ein Rechtsanwalt muss geeignete Beweismittel ermitteln, indem er den Auftraggeber hierzu gezielt befragt. Allerdings ist der Rechtsanwalt nicht verpflichtet, in irgendeiner Form an Zeugen heranzutreten, um zu klären, wie diese im Fall einer Vernehmung aussagen werden. Eine derartige "Parteivernehmung" von Zeugen wird von der Rechtsprechung als bedenklich bezeichnet. Sie könne dazu führen, dass der Beweiswert einer Zeugenaussage gemindert und der Rechtsanwalt dem Verdacht einer unzulässigen Zeugenbeeinflussung ausgesetzt werde. Dabei ist jedoch auch zu beachten, dass es in der Praxis vielfach unumgänglich ist, zur Ermittlung der einer Klage oder Klageerwiderung zugrunde zu legenden Tatsachen und zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits mit möglichen Zeugen Kontakt aufzunehmen. Vgl. dazu auch Rdn 42.
Steht kein Beweismittel zur Verfügung und hat deshalb eine wichtige Klage keine oder nur geringe Aussicht auf Erfolg, ist zu prüfen, ob der Anspruch abgetreten werden kann, um die Partei sodann als Zeugen benennen zu können. Ist eine Abtretung nicht möglich, etwa wegen eines Abtretungsverbotes, sind andere Möglichkeiten zu erwägen, etwa auch die Ablösung des Geschäftsführers einer GmbH, damit dieser anschließend als Zeuge benannt werden kann. Diese Möglichkeiten samt ihren Vor- und Nachteilen sind mit dem Mandanten zu erörtern und dessen Entscheidung ist einzuholen. Denn ob etwa im Hinblick auf die Bedeutung des Rechtsstreits eine Auswechslung des Geschäftsführers trotz der damit verbundenen Risiken zweckmäßig und vertretbar ist, kann allein der Mandant entscheiden. Der Rechtsanwalt darf aber wegen solcher Gefahren nicht schon von einer Beratung über diese Möglichkeit absehen.
bb) Feststellungen durch den Auftraggeber
Rz. 155
Zur Vorbereitung eines Prozesses, in welchem ein substanziierter Vortrag zu Ursachen, Art und Umfang des Schadens erwartet wird, ist der mit der Prozessvertretung beauftragte Rechtsanwalt verpflichtet, entsprechende Feststellungen zu veranlassen und Beweise zu sichern. Der BGH leitet diese Pflicht aus der allgemeinen Pflicht des Rechtsanwalts ab, i.R.d. ihm erteilten Auftrages seinen Auftraggeber allgemein und umfassend zu belehren, seine Belange nach jeder Richtung wahrzunehmen und die Geschäfte so zu erledigen, dass Nachteile für ihn möglichst vermieden werden (vgl. Rdn 5).
Die Verpflichtung zur Beweissicherung gilt insb. dann, wenn zu befürchten ist, dass solche Feststellungen später nicht mehr nachgeholt werden, Beweismittel verloren gehen oder in Zukunft nur schwer zugänglich sein können. Unter so...