Rz. 347
Nach §§ 665, 675 Abs. 1 BGB hat der Auftraggeber das Recht, die Ausführung des Mandats durch Weisungen zu steuern. Andererseits trifft den Auftraggeber die Nebenpflicht, den Zweck des Anwaltsvertrages nicht durch sachwidrige Weisungen zu gefährden.
Rz. 348
Aus §§ 665, 675 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass der beauftragte Rechtsanwalt oder Steuerberater grds. Weisungen seines Auftraggebers zu befolgen hat, selbst wenn dies zu Nachteilen für den Mandanten führen kann (zur Frage, ob ein umfassendes Mandat mit Weisung oder ein beschränkter Auftrag vorliegt, vgl. Rdn 31). Der Rechtsanwalt muss für eine Büroorganisation Sorge tragen, die verhindert, dass durch das Büropersonal weisungswidrig Schriftsätze eigenmächtig versandt werden. Weicht der Anwalt von der Weisung ab, liegt darin grds. eine Pflichtverletzung. Der Steuerberater verletzt seine Pflichten, wenn er entgegen der Weisung seines Mandanten keinen Einspruch einlegt. Er verletzt seine Pflicht ein weiteres Mal, wenn er dem Mandanten ggü. die Einlegung des Einspruchs durch Übersendung einer Abschrift des an das Finanzamt nicht abgesandten Einspruchsschreibens vortäuscht. Er verletzt seine Pflichten, wenn er eine Selbstanzeige weisungswidrig ohne vorherige Rücksprache mit der Mandantin dem Finanzamt zuleitet.
Wird ein Steuerberater beauftragt, Einspruch gegen einen Steuerbescheid einzulegen, heißt das in aller Regel zugleich, dass der auftragsgemäß eingelegte Einspruch durchgeführt und nicht zurückgenommen werden soll. Der Steuerberater darf deshalb einen im Auftrag des Mandanten eingelegten Einspruch ohne dessen Auftrag auch dann nicht eigenmächtig zurücknehmen, wenn das Finanzamt dem Steuerberater mitteilt, dass der Einspruch keine Aussicht auf Erfolg hat. Dies gilt erst recht, wenn die vom Finanzamt vertretene Rechtsansicht dem Steuerberater und dem Mandanten schon bei Erteilung des Auftrags zur Einlegung des Einspruchs bekannt war, der Mandant die Rechtslage aber klären lassen wollte. Dann gibt das Festhalten des Finanzamts an seiner Rechtsansicht ersichtlich keinerlei Anlass, den Einspruch ohne ausdrückliche Zustimmung des Mandanten zurückzunehmen.
Ist die Einholung einer Weisung geboten, aber wegen Unerreichbarkeit des Mandanten und Eilbedürftigkeit nicht möglich, hat der Rechtsberater im Rahmen seines Mandats ohne Weisung des Mandanten zu handeln, darf aber bei Zweifeln über die zu erwartende Entscheidung des Mandanten nach Möglichkeit keine vollendeten Tatsachen schaffen. Z.B. ist dann ein nicht aussichtsloser Rechtsbehelf vorsorglich einzulegen.
Rz. 349
Nach den oben genannten Vorschriften darf der beauftragte Rechtsanwalt von den Weisungen des Auftraggebers dann abweichen, wenn er den Umständen nach annehmen darf, dass der Auftraggeber bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde; der Rechtsanwalt hat vor der Abweichung dem Auftraggeber Anzeige zu machen und dessen Entschließung abzuwarten, wenn nicht mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Auch im letztgenannten Fall darf der Rechtsanwalt von einer Weisung nur dann abweichen, wenn er mit der Billigung durch den Auftraggeber rechnen darf. Der Rechtsanwalt hat zu beweisen, dass eine Abweichung von einer Weisung gem. §§ 665, 675 Abs. 1 BGB gerechtfertigt war. Dies gilt auch für eine Behauptung des Rechtsanwalts, eine Pflichtverletzung entfalle, weil der Mandant eine ursprünglich erteilte Weisung nachträglich geändert und er – der Rechtsanwalt – sich dementsprechend verhalten habe.
Rz. 350
Unverbindlich ist von vornherein eine Weisung, die vom Rechtsanwalt ein sittenwidriges, unredliches, unzulässiges rechtsmissbräuchliches oder rechtswidriges Vorgehen verlangt; ein solches Ansinnen muss der Rechtsanwalt, der sich als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) nicht zum willenlosen Werkzeug seines Auftraggebers machen darf, zurückweisen. Deshalb kann der Mandant dem Anwalt auch nicht den Inhalt seiner Schriftsätze im Detail vorschreiben. Dass der Mandant auf Unzulänglichkeiten des Sach- oder Rechtsvortrages in Schriftsatzentwürfen hinweisen kann und muss, bleibt davon unberührt. In der Praxis sind aber mitunter auch Schriftsätze zu sehen, die erkennbar nicht aus der Feder des unterschreibenden Anwalts stammen, auch wenn sie von ihm unterschrieben sind. Rechtsmissbräuchlich ist etwa das Führen von Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Hauptversammlung einer AG, um wichtige Maßnahmen zu blockieren und dadurch ein Entgelt für die Klagerücknahme zu erpressen. Hierdurch kann sich auch der Prozessanwalt schadensersatzpflichtig machen.
Rz. 351
Die gesetzliche Regelung (§§ 665, 675 Abs. 1 BGB) ist sachgerecht, weil der Auftraggeber das Misserfolgs- und Kostenrisiko des Auftrags trägt. Deswegen ist es grds. Sache des Mandanten, nach vertragsgerechter Beratung durch seinen Rechtsanwalt eigenverantwortlich die grundlegenden Entscheidungen darüber zu treffen, in welcher Weise seine Interessen wahrgenommen werden sollen