Rz. 93
Nach der Klärung des maßgeblichen Sachverhalts (vgl. Rdn 34 ff.) und der mandatsbezogenen Rechtsprüfung (vgl. Rdn 52 ff.) obliegt dem Rechtsanwalt die weitere vertragliche Hauptpflicht (vgl. Rdn 5), seinen Auftraggeber – in den Grenzen des umfassenden oder eingeschränkten Mandats (vgl. Rdn 16 ff.) – über das Ergebnis der Prüfung der Sach- und Rechtslage zu unterrichten und ihm darzulegen, welche Schlüsse aus diesem Befund zu ziehen sind.
Er hat – im Rahmen seines Mandats – "den Mandanten in seiner Rechtssache grds. umfassend und möglichst erschöpfend rechtlich zu beraten". Auf Selbstverständlichkeiten braucht der Anwalt seinen Auftraggeber nicht hinzuweisen; das gilt z.B. für dessen Pflicht, als Verkäufer den Käufer auf Altlasten des Kaufgrundstücks hinzuweisen. Zu den rechtlichen Gesichtspunkten, über die der Rechtsanwalt seinen Auftraggeber aufzuklären hat, kann nach den Umständen des Einzelfalls auch der Umfang des Kostenerstattungsrisikos gehören. Kann ein rechtlicher Gesichtspunkt die Entscheidung eines vernünftigen Mandanten beeinflussen, darf er von dem Berater nicht verschwiegen werden.
Der Anwalt muss dem Mandanten allerdings nicht notwendig eine vollständige rechtliche Analyse, sondern allein die Hinweise liefern, die ihm im Hinblick auf die aktuelle Situation und sein konkretes Anliegen die notwendige Entscheidungsgrundlage vermitteln. Nach Art und Umfang des Mandats kann eine eingeschränkte Belehrung ausreichend sein, etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit oder bei einem Aufwand, der außer Verhältnis zum Streitgegenstand steht. Inhalt und Umfang der Aufklärung haben sich nach den erkennbaren Interessen des Mandanten zu richten. Eine in jeder Hinsicht lückenlose Aufklärung über alle rechtlichen Zusammenhänge und Folgen trägt v.a. bei schwieriger Sach- und Rechtslage die Gefahr in sich, den Mandanten zu überfordern und ihm so den Blick auf die für die Entscheidung wichtigen Gesichtspunkte zu verstellen. Dies würde dem Sinn und Zweck der geschuldeten Beratung zuwiderlaufen. Der Rechtsanwalt hat dem Auftraggeber daher nur die Hinweise zu erteilen, die ihm die für seine Entscheidung notwendigen Informationen liefern. Kommen verschiedene Vorgehensweisen in Betracht (z.B. Minderung, Schadensersatz, Rücktritt), muss der Anwalt dem Mandanten die Vor- und Nachteile darlegen und mit ihm erörtern, welche Variante seinem Anliegen am besten entspricht. Ist die genaue Berechnung der Verjährung sehr schwierig und mit Unwägbarkeiten rechtlicher und tatsächlicher Art verbunden, kann es deshalb genügen, den Mandanten dahin zu belehren, dass eine "sofortige" Klageerhebung erforderlich ist, wenn klar ist, dass die Verjährung jedenfalls in Kürze eintreten kann.
Hat der Mandant dem Anwalt einen Sachverhalt unterbreitet, aus dem sich Ansprüche des Mandanten ergeben, und hätte der Rechtsanwalt diese bei pflichtgemäßer Prüfung erkennen müssen, bedeutet eine anspruchsverneinende Auskunft stets eine Pflichtverletzung des Anwalts. Im Regressprozess ist eine ausreichend substanziierte Darlegung sowohl des entsprechenden Sachverhalts als auch seiner Unterbreitung erforderlich.
Das Bestreben des Mandanten, ein Ziel möglichst schnell zu erreichen, etwa den Abschluss eines (Ehe-)Vertrages, enthebt den Rechtsanwalt nicht seiner Beratungspflicht.
Diese Pflicht muss der Rechtsanwalt selbst erfüllen; er darf diese Aufgabe nicht seinem Bürovorsteher überlassen.
Ist der Anwalt (Steuerberater) mit der Bearbeitung eines konkreten Falles befasst, muss die Belehrung konkret und individuell erfolgen. Hat der Anwalt etwa zu prüfen, ob eine Bürgschaftsurkunde dem Anliegen des Mandanten entspricht, genügt es nicht, wenn er dem Mandanten als Ergebnis der Prüfung mitteilt, die Bürgschaftsurkunde sei "völlig untauglich" oder "nicht in Ordnung". Er muss vielmehr darlegen, an welchen Mängeln die Urkunde leidet, damit der Mandant bei einer angeforderten neuen Urkunde prüfen kann, ob diese in Ordnung ist oder neuerlicher anwaltlicher Überprüfung bedarf.
Taucht durch eine Gesetzesänderung, durch Änderungen von Hinweisschreiben der Finanzverwaltung oder durch (sich ankündigende) Änderungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung möglicher Beratungsbedarf bei Mandanten auf, ohne dass diese Neuerungen in einem konkret zur Bearbeitung anstehenden Mandat relevant werden, kann der Anwalt oder Steuerberater seinen Hinweispflichten aus einem Dauermandat auch durch allgemeine, hinreichend konkret gefasste Rundschreiben an seine Mandanten mit der Aufforderung, ggf. konkreten Rechtsrat von ihm einzuholen, gerecht werden.
Hat der Rechtsanwalt den Mandanten ausreichend belehrt, entstehen aber in der Folgezeit durch sein Verhalten Unklarheiten oder Missverständnisse, kann eine erneute Beratung erforderlich werden. Ist der Mandant mit dem deutschen Recht und/oder der deutschen Sprache wenig vertraut, muss der Anwalt für eine geeignete Verständigung sorgen und sich vergewissern, dass der Mandan...