Rz. 129
Die allgemeine Vertragspflicht eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters, seinen Auftraggeber vor voraussehbaren und vermeidbaren Schäden zu bewahren (vgl. Rdn 5 f.), überlagert die übrigen Grundpflichten aus dem echten Anwaltsvertrag zur Klärung des Sachverhalts sowie zur Rechtsprüfung und -beratung und füllt diese Hauptpflichten aus.
Insb. prägt die Schadensverhütungspflicht das "Gebot des sichersten Weges" (vgl. Rdn 113 ff.). Dies hat zur Folge, dass der Rechtsanwalt oder Steuerberater den sichersten Weg nicht nur zu empfehlen, sondern auch zu gehen hat, falls der Mandant keine andere Weisung erteilt.
Rz. 130
Diese Pflicht verletzt ein Rechtsanwalt z.B., wenn er
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einen gerichtlichen Hinweis gem. § 139 ZPO missachtet, weil er ihn – zu Recht – als unhaltbar ansieht; |
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eine fehlerhafte gerichtliche Auflage, die eine Beweisaufnahme von der Einzahlung eines Kostenvorschusses durch den Mandanten abhängig macht, nicht erfüllt, ohne auf eine rechtzeitige Berichtigung zu dringen; |
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feststellt, dass das Gericht die tatsächlich erfolgte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses nicht beachtet und trotz unbedingt erhobener Klage von einem bloßen PKH-Gesuch ausgeht, aber dieses Missverständnis gleichwohl nicht ausräumt, um zwecks Einhaltung der Klagefrist die alsbaldige Zustellung der Klage sicherzustellen; |
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bei einer Nachlassverwaltung Zahlungen allein an einen Miterben statt an die ungeteilte Erbengemeinschaft leistet, sodass die Gefahr besteht, dass dieses Nachlassvermögen der Mitverwaltung durch die übrigen Miterben und wegen Insolvenz des begünstigten Miterben der Auseinandersetzung entzogen wird; |
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nach einer "Flucht in die Säumnis" keinen Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegt; |
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nicht durch geeignete Rechtsbehelfe verhindert, dass vor der Entscheidung seines Mandanten, ob gegen ein Räumungsurteil Berufung eingelegt werden soll, der Gegner vollendete Tatsachen schafft; |
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für den Mandanten ein vertragliches Gestaltungsrecht ausübt und dadurch andere sonst erfolgversprechende Ansprüche des Mandanten vereitelt; |
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nicht für den vollständigen Abschluss einer Scheidungsfolgenvereinbarung sorgt, wenn sowohl die Mandantin wie auch deren Ehegatte die vermögensrechtlichen Folgen der Scheidung ausschließen wollen, weil beide Ehegatten eigene Renten- und Lebensversicherungsanwartschaften erworben hatten; |
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als Vertreter eines Absonderungsberechtigten im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners nicht innerhalb von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Schlussverzeichnisses eine Erklärung gem. § 190 Abs. 1, § 189 Abs. 1 InsO abgibt. |
Rz. 131
Ein Steuerberater verstößt gegen die vertragliche Schadensverhütungspflicht z.B., wenn er
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trotz triftigen Anlasses seine Auftraggeberin – eine GmbH – nicht davor warnt, dass Zuwendungen an ihren Gesellschafter-Geschäftsführer als verdeckte Gewinnausschüttung mit entsprechendem Steuernachteil gewertet werden können; |
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seinen Mandanten nicht über alternative Steuervergünstigungen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen aufklärt; |
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bei übernommener Lohnabrechung und -kontenführung Beiträge zur Sozialversicherung nicht abführt, sondern an den Beschäftigten des Mandanten auszahlt, und dem Auftraggeber nicht empfiehlt, wegen sich aufdrängender sozialversicherungsrechtlicher Fragen den Rat eines Rechtsanwalts einzuholen. |