Rz. 159
Über die Beweissicherungspflicht, welche die tatsächlichen Grundlagen von Ansprüchen des Auftraggebers betrifft, hinaus muss ein Rechtsanwalt auch verhindern, dass dem Auftraggeber rechtliche Nachteile durch Zeitablauf entstehen, insb. dadurch, dass Fristen nicht beachtet werden. Dabei kann es sich insb. um Ausschluss- oder Verjährungsfristen handeln. Auf die Pflicht, prozessuale Fristen zu beachten, wird gesondert eingegangen. Zu der Pflicht, rechtzeitig schriftsätzlich vorzutragen, siehe Rdn 151; zu der Pflicht, Rechtsmittelfristen und andere Notfristen zu wahren, siehe Rdn 175.
aa) Sicherung von Fristen, insb. gegen Verjährung
Rz. 160
Der in der Praxis wichtigste Sicherungsfall ist die Beachtung von Verjährungsfristen und die Verhinderung der Verjährung (§§ 194 bis 218 BGB) von Ansprüchen des Auftraggebers. Die Rechtsprechung leitet die Verpflichtung des Rechtsanwalts, einem Rechtsverlust des Mandanten wegen Verjährung durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken, aus der allgemeinen Pflicht ab, i.R.d. Auftrags die Belange des Auftraggebers nach jeder Richtung wahrzunehmen und ihm voraussehbare und vermeidbare Nachteile zu ersparen (vgl. Rdn 5). Im Einzelnen muss der Rechtsanwalt im Rahmen seines Mandats
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unverzüglich Verjährungsfristen für Ansprüche des Auftraggebers erfassen und überwachen sowie |
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die Ansprüche gegen eine drohende Verjährung sichern, d.h. rechtzeitig Maßnahmen zur Hemmung oder zum Neubeginn der Verjährung einleiten. |
V.a. bei der Sicherung von Ansprüchen gegen Verjährung gilt der Grundsatz des sichersten Weges (vgl. Rdn 115). Wenn der Rechtsanwalt Dispositionen trifft, die das Risiko der Verjährung erhöhen, ist er verpflichtet, Vorkehrungen gegen eine drohende Verjährung zu treffen. Wenn ein Anwalt vertraglich verpflichtet ist, vermeidbare Nachteile für seinen Auftraggeber zu verhindern, hat er deren Ansprüche vor der Verjährung zu sichern. Ist unklar, wann die Ansprüche auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens verjähren, ist der Anwalt verpflichtet, unter Berücksichtigung des für seinen Mandanten ungünstigsten Falls, sofort entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ist zur Verhinderung der Verjährung ein weiteres Mandat für eine verjährungshemmende oder -unterbrechende Maßnahme (z.B. Klageerhebung) erforderlich, muss der Anwalt den Mandanten darüber aufklären. Dabei ist der Fristablauf eindeutig klar zu machen.
Die zeitliche Dringlichkeit einer zur Vermeidung des Verjährungseintritts gebotenen Klageerhebung kann dem Mandanten nach Auffassung des BGH durch den Hinweis des Rechtsanwalts hinreichend verdeutlicht werden, "sofort" Klage erheben zu müssen. Die Kritik hieran, es habe ein genauer Termin genannt werden müssen, ist unberechtigt: Freilich hätte der Anwalt präziser formulieren und eine Frist für die Auftragserteilung und den Zeitpunkt der Vorschusszahlung sowie den spätesten Tag der tatsächlichen Klageeinreichung nennen können. Zu beurteilen war aber nicht, ob eine noch bessere Formulierung möglich gewesen wäre, sondern ob die vom Anwalt gewählte Formulierung ausreichend war. Deshalb konnte das "sofort" als ausreichend angesehen werden, weil es hinreichend zum Ausdruck brachte, dass jedenfalls der Auftrag "sofort", also noch in der Besprechung oder im Anschluss an diese, erteilt werden musste, was der BGH auch hinreichend klargestellt hat.
Der Mandant darf nicht im Zweifel darüber gelassen werden, wann er den Auftrag spätestens erteilen muss. Dies gilt entsprechend für Vorkehrungen gegen die Versäumung einer Anfechtungsfrist, z.B. zur Ehelichkeitsanfechtung, oder die Versäumung von Ausschlussfristen (vgl. Rdn 178), z.B. im Arbeitsrecht oder Unfallversicherungsrecht nach den dortigen AVB. Auch gegen die Verjährung von Zugewinnausgleichsansprüchen hat der Anwalt Sorge zu tragen.
Droht außerhalb des eingeschränkten Mandatsgegenstandes die Verjährung eines eng damit zusammenhängenden Schadens, können sich auch insoweit Hinweispflichten ergeben (vgl. Rdn 20).
Rz. 161
Beim Steuerberater steht v.a. die Einhaltung der Fristen für die Einreichung von Steuererklärungen, die Einlegung von Einsprüchen oder die Erhebung von Klagen im Vordergrund. Hinsichtlich der Rechtsmittel gilt dasselbe wie beim Rechtsanwalt. Er hat für die Einhaltung der Fristen Sorge zu tragen.
Bei Fristen für steuerrechtliche Erklärungen übernimmt der Steuerberater ohne eine eindeutige Zusage im Zweifel nicht die Vertragspflicht, für den rechtzeitigen Leistungserfolg in jedem Fall einzustehen, weil er bei der Anfertigung der Steuererklärungen ganz entscheidend auf die Mitwirkung des Mandanten angewiesen ist. Erfüllt er aber schuldhaft nicht seine Pflicht, die pünktliche Abgabe der Steuererklärung mit Rat und Tat zu fördern, oder hält er die Frist nicht ein, obwohl der Mandant das Erforderliche rechtzeitig getan hat, haftet er. Der Ansicht des BGH, der Mandant müsse den Steuerberater überwachen und bei Nichteinhaltung der Fristen zunächst mahnen, damit Verzug eintritt, kann nicht gefolgt werden. Es ist gera...