Rz. 155
Zur Vorbereitung eines Prozesses, in welchem ein substanziierter Vortrag zu Ursachen, Art und Umfang des Schadens erwartet wird, ist der mit der Prozessvertretung beauftragte Rechtsanwalt verpflichtet, entsprechende Feststellungen zu veranlassen und Beweise zu sichern. Der BGH leitet diese Pflicht aus der allgemeinen Pflicht des Rechtsanwalts ab, i.R.d. ihm erteilten Auftrages seinen Auftraggeber allgemein und umfassend zu belehren, seine Belange nach jeder Richtung wahrzunehmen und die Geschäfte so zu erledigen, dass Nachteile für ihn möglichst vermieden werden (vgl. Rdn 5).
Die Verpflichtung zur Beweissicherung gilt insb. dann, wenn zu befürchten ist, dass solche Feststellungen später nicht mehr nachgeholt werden, Beweismittel verloren gehen oder in Zukunft nur schwer zugänglich sein können. Unter solchen Umständen ist regelmäßig die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO angebracht. Kommt es für die Feststellungen nicht auf besondere Sachkunde an, kann der Rechtsanwalt auch in anderer Weise dafür sorgen, dass der Mandant in einem späteren Prozess zu substanziierten Darlegungen und zum Beweis in der Lage ist. Dann kann die Einholung eines Privatgutachtens oder eine Beweissicherung durch den Mandanten selbst ausreichen. Die Einholung eines Privatgutachtens kommt auch dann in Betracht, wenn Mandant und Anwalt nicht genügend Sachkunde für einen eigenen substanziierten Vortrag haben, etwa bei der Frage, ob Beschwerden unfallbedingt sind.
In einem vom BGH entschiedenen Fall waren die in einem Modegeschäft vorhandenen Waren durch Feuchtigkeit beschädigt worden, die in die gemieteten Geschäftsräume eingedrungen war. Die von dem Geschäftsinhaber beauftragten Rechtsanwälte handelten nach Ansicht des Senats pflichtwidrig, weil sie nicht veranlasst hatten, die Beschädigung der einzelnen Kleidungsstücke vor der späteren Veräußerung beweiskräftig festzuhalten, um für eine Klage gegen den Verursacher den Schaden nach Art und Umfang darlegen und belegen zu können. Nachdem die Ware veräußert worden war, war nicht mehr festzustellen, ob, wie und in welchem Umfang die Einzelteile tatsächlich beschädigt worden waren. Die Rechtsanwälte hätten nach Ansicht des BGH den Auftraggeber darauf aufmerksam machen müssen, dass vor dem Verkauf beschädigter Waren deren Zustand entweder
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durch einen Sachverständigen, |
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durch Personen, die später als Zeugen in Betracht kommen, oder |
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durch den Auftraggeber selbst im Beisein solcher Personen |
festgehalten wird. Die Rechtsanwälte seien verpflichtet gewesen, dem Auftraggeber deutlich vor Augen zu führen, welches Risiko die Unterlassung solcher Maßnahmen nach sich ziehen konnte. Auf ein von der Partei eingeholtes Gutachten hätten die Rechtsanwälte sich nur dann verlassen dürfen, wenn sie sich darüber vergewissert hätten, dass der Gutachter als zuverlässig bekannt und ihm von dem Mandanten ein sachgerechter Auftrag erteilt worden sei. Das Gutachten müsse von den Rechtsanwälten umgehend auf seine Eignung zur Beweissicherung überprüft werden. Wenn sich die Vorlage des Gutachtens verzögere, sei es Aufgabe der beauftragten Rechtsanwälte, bei dem Mandanten nachzufragen und erforderlichenfalls zu veranlassen, den Sachverständigen zu erinnern oder dies selbst in die Hand nehmen. Umgekehrt wird der Rat eines Rechtsanwalts, aus Zwecken der Beweissicherung etwa eine vom Mieter beschädigte Wohnung bis zum Abschluss eines Schadensersatzprozesses gegen diesen nicht zu reparieren und nicht weiter zu vermieten, pflichtwidrig sein, wenn dadurch erheblicher weiterer Schaden entsteht (Mietausfall) und eine Beweissicherung anders möglich ist.
Eine relativ gute Möglichkeit, Beweise zu sichern, bietet es in vielen Fällen, ausreichend viele Fotos von dem Schaden und den Umständen der Schadensentstehung zu machen, etwa bei einem Verkehrsunfall zur Ermittlung der Unfallursache von der Unfallstelle und den Spuren sowie von den Schäden an den beteiligten Fahrzeugen, zur Ermittlung des eigenen Schadens sodann v.a. vom eigenen Fahrzeug. Davon wird erstaunlicherweise trotz der Allgegenwärtigkeit von Smartphones noch viel zu wenig Gebrauch gemacht. Der Rechtsanwalt hat auf diese Möglichkeit hinzuweisen und den Mandanten zur entsprechenden Sicherung der Beweise aufzufordern, soweit dies noch möglich und noch nicht geschehen ist.
Das gilt z.B. auch bei Mängeln von Mietsachen (Wohnung, Hotelzimmer, Mietwagen etc.), Baumängeln oder dem verkehrssicheren Zustand von Verkehrsflächen zu einem bestimmten Unfallzeitpunkt.
Bei der Regulierung von Unfallschäden hat der Rechtsanwalt darauf zu achten, dass bei der Einholung von Gutachten zur Schadenshöhe ein neutraler und ausreichend qualifizierter Sachverständiger beauftragt wird. Dem heute oft anzutreffenden Anerbieten der eintrittspflichtigen gegnerischen Versicherung, kostenlos einen neutralen Sachverständigen zu schicken, ist mit großer Vorsicht zu begegnen, weil diese Sachverständigen oft mit Verträgen an diese Versicherun...