Rz. 9
Nach dem Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann für den Rechtsanwalt außerhalb der Mandatszeit (nur) eine vor- oder nachvertragliche Nebenpflicht zum Schutz des – künftigen bzw. früheren – Mandanten entstehen, deren schuldhafte Verletzung zu einer Haftung führen kann.
Schließt der Anwalt in seiner Kanzlei als Unternehmer (§ 14 BGB) mit einem Verbraucher (§ 13 BGB) einen Anwaltsvertrag, muss er zuvor die Informationspflichten nach § 312a Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 246 EGBGB erfüllen, soweit diese einschlägig sind. Bei Mandatsanbahnungen außerhalb der Kanzleiräume und bei Fernabsatzverträgen nach § 312e BGB sind die Informationspflichten nach § 312d BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB zu erfüllen. Von besonderer Bedeutung ist hier die Belehrung über das Widerrufsrecht nach § 312g BGB. Braucht der Verbraucher eine sofortige Beratung, muss sich der Anwalt eine Bestätigung nach näherer Maßgabe des § 356 Abs. 4 BGB geben lassen, dass sich der Verbraucher mit der sofortigen Erbringung der Dienstleistung und dem Erlöschen des Widerrufsrechts einverstanden erklärt. Bei Vertragsabschluss im elektronischen Geschäftsverkehr sind zudem §§ 312i und 312j BGB zu beachten.
Zudem ist für Rechtsanwälte die Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer (DL-InfoV) einschlägig, die der Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt dient und zu weiteren, von den vorher genannten Vorschriften unabhängigen vorvertraglichen Informationserteilungen verpflichtet. Schließlich ist ggf. § 5 TMG anzuwenden.
Die Regelungen erscheinen für den Anwalts- und Steuerberatervertrag praxisfern. Einzelheiten sind durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt. Verletzungen dieser Pflichten führen aber zu einem Anspruch auf Schadensersatz, weil sie gerade dem Schutz der Mandanten dienen sollen.
Rz. 10
Wegen eines Verschuldens vor oder bei Vertragsschluss des Anwaltsvertrages (vgl. § 1 Rdn 209 ff.) kann ein Rechtsanwalt z.B. haften, wenn er einen Auftrag, den er nicht annehmen will, nicht unverzüglich ablehnt (§ 44 BRAO; Steuerberater: § 63 StBerG; Wirtschaftsprüfer: § 51 WPO), vgl. dazu § 1 Rdn 210 ff., oder zwar unverzüglich ablehnt, aber in diesem Zusammenhang unrichtige Rechtsauskünfte erteilt, oder wenn er zwischen einer Beiordnung (§§ 48, 49 BRAO; vgl. § 1 Rdn 192 ff.) und dem Abschluss des Anwaltsvertrages die Interessen des künftigen Mandanten nicht wahrt oder nicht durch Belehrung darauf hinwirkt, dass im Hinblick auf § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein Anwaltsvertrag nur mit dem Anwalt geschlossen wird, der im PKH-Verfahren beigeordnet wurde. Ebenfalls ist er dem Mandanten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er ihn vor Übernahme des Auftrags schuldhaft nicht darauf hinweist, dass sich die für seine Tätigkeit zu erhebenden Gebühren gem. § 49b Abs. 5 BRAO nach dem Gegenstandswert richten (vgl. Rdn 195), oder dass er den Anspruchsgegner häufig vertritt (vgl. Rdn 381). Darüber hinaus können dem Rechtsberater weitere vorvertragliche Sorgfalts-(Aufklärungs-, Schutz- und Obhuts-)pflichten obliegen, etwa auf mögliche Interessenkonflikte hinzuweisen (vgl. Rdn 369).
Nach einer – (grds. nach § 627 BGB jederzeit möglichen) vorzeitigen oder vertragsgemäßen – Beendigung des Anwaltsvertrages kann eine nachvertragliche Nebenpflicht (vgl. § 1 Rdn 227 ff.) für den Rechtsanwalt nur dann entstehen, wenn infolge der Vertragsbeendigung dem früheren Mandanten ein unmittelbarer, mit der vorangegangenen Vertragserfüllung zusammenhängender Schaden droht, z.B. wegen unmittelbar bevorstehender Verjährung eines Anspruchs, wegen drohenden Ablaufs einer Frist oder Rückforderung einer Prozessbürgschaft. Besteht eine solche Gefahr nicht, so ist der Rechtsanwalt dem früheren Auftraggeber zu keiner Nachsorge verpflichtet; er braucht dann in einer unvollendeten Angelegenheit keine Ratschläge für die künftige Sachbehandlung zu erteilen und nicht die Sache zu einem vorläufigen Ende zu führen.
Stellt der Steuerberater fest, dass er vor Beendigung des Mandats einen Fehler begangen hat, etwa steuermindernde Werbungskosten in der Steuererklärung versehentlich nicht geltend gemacht hat, muss er den Mandanten hiervon unterrichten; ist dies fristgemäß nicht möglich, weil der Mandant nicht rechtzeitig erreichbar ist, kann er zur Schadensverhinderung gehalten sein, unmittelbar das Finanzamt zu unterrichten, weil insoweit von dem Einverständnis des Mandanten auszugehen ist.
Wird ihm nach einem Anwaltswechsel oder nach Beendigung des Mandats noch eine Entscheidung des Gerichts zugestellt, hat er hierüber und über den Zeitpunkt der Zustellung den Mandanten unverzüglich zu unterrichten. Darauf, dass der frühere Prozessbevollmächtigte die nachwirkende Pflicht ordnungsgemäß erfüllt, darf sich die Partei verlassen. Solange der ehemalige Mandant keine Zustellungsnachricht von seinem ehemaligen Rechtsanwalt erhalt...