Rz. 98
Der Rechtsanwalt hat von der Belehrungsbedürftigkeit seines Mandanten auszugehen. Dies gilt selbst ggü. einem rechtlich vorgebildeten und wirtschaftlich erfahrenen Auftraggeber, weil auch dieser auf eine vertragsgerechte Pflichterfüllung des Rechtsanwalts vertrauen darf. Das gilt selbst dann, wenn das Mandat von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erteilt worden ist, deren Geschäftsführer und Gesellschafter selbst Rechtsanwälte und sogar Mitglieder der beauftragten Sozietät sind. Deswegen ist dem Mandanten bei einer Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages grds. kein Mitverschulden (§ 254 BGB) vorzuwerfen (vgl. § 6 Rdn 17). Die Ausführlichkeit der Belehrung hängt wie auch sonst von den Vorkenntnissen des Mandanten ab. Ist dieser selbst Rechtsanwalt oder prozesserfahren, braucht er nicht über allgemeine rechtliche Selbstverständlichkeiten wie die Kostentragungspflicht bei Unterliegen belehrt zu werden.
Den anwaltlichen Berater trifft aber i.d.R. keine weitere Beratungspflicht ggü. seinem Mandanten, wenn diesem die Risiken des abzuschließenden Vertrages i.R.d. Verhandlungen bereits hinreichend deutlich geworden sind. Behauptet der Anwalt im Regressprozess, eine rechtliche Belehrung des Auftraggebers sei entbehrlich gewesen, weil dieser die Rechtslage gekannt habe, so hat der Anwalt sein Vorbringen im Streitfall – als Ausnahme von der Regel – zu beweisen.
Hat der Mandant einen Rechtsberater beauftragt, um eine höchstpersönliche Lebens-, Glaubens- oder Gewissensentscheidung vorzubereiten, so erstreckt sich die Beratungspflicht nicht auf Umstände, die der Auftraggeber kennt, und nicht auf eine Empfehlung bzgl. der höchstpersönlichen Entscheidung des Mandanten.
Rz. 99
Auch der Steuerberater hat im Rahmen seines Auftrags grds. von der Beratungsbedürftigkeit des Mandanten auszugehen, diesen umfassend zu beraten, auf wirtschaftliche Fehlentscheidungen hinzuweisen und vor möglichen Schäden zu bewahren.
Hat der Steuerberater den Auftrag, die steuerlichen Vor- und Nachteile verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten darzustellen, muss er i.d.R. auch die anfallende Kirchensteuer einbeziehen. Auf die Möglichkeit, aus der Kirche auszutreten, um dadurch die Kirchensteuer zu sparen, muss er allerdings nicht hinweisen, weil dies in Deutschland jedem Steuerzahler bekannt ist. Einen ausländischen Mandanten, der sich erstmals in Deutschland niederlässt und Arbeit aufnimmt, muss er allerdings auf die hier bestehende Kirchensteuerpflicht hinweisen, jedenfalls wenn dies für den Mandanten neu und von besonderer Bedeutung sein kann, etwa bei einer Nettolohnabrede, bei welcher der Arbeitgeber die anfallenden Steuern für den Arbeitnehmer abführen muss, also auch die Kirchensteuer. Das muss von dem Mandanten überprüft werden können. Eine Empfehlung, aus der Kirche auszutreten, um die Kirchensteuerpflicht zu beenden, schuldet der Steuerberater wegen der Höchstpersönlichkeit dieser Entscheidung auch hier nicht. Im Rahmen eines umfassenden Mandats muss der Steuerberater prüfen, ob der Arbeitgeber bei einer Nettolohnabrede die Kirchensteuer tatsächlich abgeführt hat.
Führt eine mögliche Gestaltung dazu, dass nicht lediglich der übliche Satz der Kirchensteuer von 8 oder 9 % der Lohn- oder Einkommensteuer zu zahlen ist, sondern erheblich mehr, muss der Steuerberater dies dem Mandanten klarmachen, weil es für dessen Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sein kann. Eine solche erhöhte Kirchensteuer kann außerdem womöglich nicht nur durch Kirchenaustritt, sondern auch durch andere Gestaltung vermieden werden.
Ob der Steuerberater verpflichtet ist, seinem Mandanten Gestaltungsvorschläge unter Einbeziehung Dritter zu unterbreiten, ist nicht allgemein geklärt. Ist der Dritte jedoch in den Schutzbereich des Steuerberatervertrages einbezogen (etwa der Ehegatte des Mandanten bei Zusammenveranlagung), ist dies zu bejahen.
Der Rechtsanwalt, der eine Religionsgesellschaft, welche eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, hinsichtlich der Frage berät, ob eine Kirchensteuer erhoben werden soll, muss auf die erleichterte insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von freiwilligen Leistungen der Angehörigen der Körperschaft nach § 134 InsO hinweisen.
Rz. 100
Ein Steuerberater kann verpflichtet sein, seinem Auftraggeber die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu empfehlen, wenn sich ergibt, dass der Mandant Hilfe in allgemein-rechtlichen, insb. in gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten benötigt.
Rz. 101
Dem Rechtsanwalt ist zu empfehlen, im eigenen Interesse den Kern seiner Rechtsberatung für einen späteren Regressfall vorsorglich beweiskräftig festzuhalten; eine entsprechende Dokumentationspflicht besteht allerdings nicht. Jedenfalls sollte er den Inhalt von Gesprächen mit dem Mandanten, v.a. von vorgenommenen Belehrungen, in Aktenvermerken festhalten, um in Jahre später geführten Prozessen darauf gestützt zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast vortragen zu können. B...