Rz. 332
Vertragsklauseln sind aufgrund ihres Gegenstands notwendigerweise zukunftsorientiert zu gestalten. Sie bezwecken eine Vorausregelung denkbarer Konflikte zwischen den Vertragspartnern. Erst im Nachhinein kann sich herausstellen, dass einzelne Klauseln den Interessen des Mandanten nicht gerecht werden oder für ihn nachteilig sind. Streitigkeiten können auch auftreten, wenn die Klauseln keine Regelung eines Problems enthalten, das während der Vertragsabwicklung auftritt.
Rz. 333
Die Parteien bzw. die sie beratenden Rechtsanwälte können bei der Aushandlung eines Vertrages nicht ausschließlich ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen, sondern müssen auf die Interessen der Gegenseite eingehen. Der Vertragsinhalt kommt im Wege gegenseitigen Nachgebens zustande. Angesichts der Verhandlungssituation können auch außerrechtliche Erwägungen eine Rolle spielen, etwa dass der Mandant mit der Gegenseite auch künftig noch anderweitig zusammenarbeiten möchte oder muss bzw. mit der Gegenseite familiär oder privat eng verbunden ist. Eine optimale rechtliche Lösung kann außer Verhältnis zum Aufwand oder Risiko eines langfristigen Streits stehen. Weitere Kriterien können das Bedürfnis des Mandanten sein, Diskretion oder das Gesicht zu wahren.
Rz. 334
Vertragsklauseln müssen abstrakt gehalten und geeignet sein, vorbeugend eine möglichst große Anzahl von Konfliktfällen im Interesse der Vertragsparteien lösen zu können. Ein Rechtsanwalt handelt daher grds. nicht pflichtwidrig, wenn er bei den Vertragsverhandlungen nicht alle Interessen seines Mandanten durchsetzt. Hierzu kann auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur anwaltlichen Beratung beim Abschluss eines Vergleichs (vgl. Rdn 284–303) zurückgegriffen werden. Die vom Rechtsanwalt gewählte Lösung muss vertretbar sein und auch den Interessen des Mandanten dienen. Dem Rechtsanwalt ist jedoch ein Spielraum einzuräumen, innerhalb dessen er nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden kann. Wichtig ist, dass der Rechtsanwalt den Mandanten über alle für die Entscheidungsfindung relevanten Kriterien, Zweifelsfragen und Ungewissheiten berät und aufklärt, sodass dieser in der Lage ist, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Der Rechtsanwalt haftet nur, wenn die ausgehandelte Lösung erkennbar nicht den Interessen des Mandanten entspricht, oder der Mandant über für ihn nachteilige relevante Umstände im Unklaren gelassen worden ist.
Wie bereits im Zusammenhang mit den Pflichten bei Vergleichsschluss dargelegt (vgl. Rdn 296), ist auch für die Pflichten eines vertragsgestaltenden Rechtsanwalts i.R.d. Prognose auf eine ex-ante-Sicht abzustellen, da der Vertragsjurist für eine ungewisse Zukunft plant und gestaltet.