Rz. 102
Die anwaltliche Rechtsberatung muss sich darauf erstrecken, dem Auftraggeber die Zweifel und Bedenken, zu denen die Sach- und Rechtslage Anlass geben, sowie mögliche Risiken und deren abschätzbares Ausmaß, darzulegen und diese mit dem Mandanten zu erörtern; nur in Kenntnis solcher Umstände kann dieser über sein weiteres Vorgehen sachgerecht entscheiden. Eine solche Belehrung kann allenfalls dann entbehrlich sein, wenn der Rechtsanwalt erkennt, dass der Mandant die Risiken des Geschäfts oder der beabsichtigten rechtlichen Gestaltung kennt und er diese auch bei einer Belehrung auf sich nehmen würde (zur Beweislast vgl. Rdn 98).
Danach ist die Erklärung eines Patentanwalts ggü. seinem Mandanten, dessen Patent werde mit Sicherheit für nichtig erklärt werden, pflichtwidrig, wenn eine solche Prognose objektiv zumindest zweifelhaft ist. Dementsprechend darf ein Rechtsanwalt bei schwieriger und zumindest unklarer Rechtslage nicht ggü. seinem Auftraggeber den Eindruck erwecken, eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sei schlechthin aussichtslos, wenn er dies nicht sorgfältig geprüft hat.
Rz. 103
Unklar kann der letztlich maßgebliche Sachverhalt sein, etwa weil die Einlassung und Entschlüsse eines in Anspruch zu nehmenden Gegners unbekannt sind oder das Ergebnis einer Beweisaufnahme aussteht; auf ein mögliches Beweisrisiko ist hinzuweisen. Ist unklar, wer von mehreren Personen der Vertragspartner des Mandanten ist, so hat der Rechtsanwalt, der einen vertraglichen Anspruch des Auftraggebers durchsetzen soll, diesem zu raten, den auftragserteilenden Vertreter aus § 179 Abs. 1 BGB zu verklagen und den übrigen als Vertragspartner in Betracht kommenden Personen den Streit zu verkünden. Unsicher kann die Rechtslage sein, v.a. wenn eine höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt; gerade in solchen Fällen muss der Anwalt seinen Auftraggeber auf den entsprechenden Risikograd deutlich hinweisen.
Mit besonderen Risiken ist die anwaltliche Beratung über steuerrechtliche Fragen im Rahmen eines allgemeinen zivilrechtlichen Mandats und im Vorfeld der Insolvenz des Mandanten verbunden. Ist die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs einer Steuervorschrift offen und für die Entscheidung des Mandanten bedeutsam, so hat der Steuerberater grds. auf das Risiko hinzuweisen, das sich aus der ungewissen Rechtslage ergibt.
Rz. 104
Ist ein Prozess – oder ein anderes gerichtliches oder behördliches Verfahren – nahezu sicher oder jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit aussichtslos, so muss der Rechtsanwalt dies dem Mandanten klarmachen, wenn er nicht für die Kosten haften will. Er muss davon abraten, dass sein Auftraggeber einen Mahnbescheid beantragt, wenn gegen den Schuldner bereits ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt ist, es sei denn, es ist zu erwarten, dass noch vor Eröffnung ein (vorläufig) vollstreckbarer Titel erlangt werden kann, weil dann im Insolvenzverfahren § 184 Abs. 2 InsO greift. Entscheidet sich der Mandant nach ausreichender Belehrung über das Risiko doch zum Prozess, so hat der Anwalt die Kosten nicht zu verantworten. Dies gilt entsprechend, wenn der Mandant sich nach genügender Risikoaufklärung entschließt, gemäß dem Rat seines Anwalts eine herrschende Rechtsmeinung zu bekämpfen (vgl. Rdn 88 ff.).
Soll ein Rechtsanwalt im Auftrag seines Mandanten aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil vollstrecken, so muss er diesen über das Risiko mangelnder Insolvenzfestigkeit einer Sicherungsvollstreckung (§ 720a ZPO) belehren, wenn er die zerrüttete wirtschaftliche Lage des Schuldners kennt. Belehren muss er jedenfalls über die Schadensersatzpflicht nach § 717 Abs. 2 ZPO.
Soll ein Rechtsanwalt im Auftrag einer erkennbar dauernd zahlungsunfähigen oder überschuldeten Genossenschaft einen außergerichtlichen Vergleich mit den Gläubigern anstreben, so muss er den Vorstand der Genossenschaft darüber belehren, dass dieser unverzüglich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen hat und keine Zahlungen mehr leisten darf (§ 15a InsO, § 99 GenG). Da ein Vergleich mit den Gläubigern in Widerspruch zu dieser gesetzlichen Regelung stünde, hat der Rechtsanwalt auf die rechtlichen Bedenken gegen eine solche Maßnahme und daraus drohende Risiken hinzuweisen. Nur wenn durch den anzustrebenden Vergleich mit den Gläubigern eine dauerhafte Sanierung der Genossenschaft erreicht werden kann, sollte ein entsprechender Versuch unternommen werden.