Rz. 68
Besonders hohe Anforderungen an die Rechtsprüfung des Rechtsanwalts – und an die Klärung des maßgeblichen Sachverhalts – stellt ein Mandat mit Auslandsbezug (vgl. § 1 Rdn 203 ff., 356 ff.), das wegen der starken, noch zunehmenden internationalen Verflechtung persönlicher und wirtschaftlicher Art inzwischen verbreitet ist. Ein solcher Auslandsbezug kann schon den Blick auf das deutsche Recht verdunkeln; z.B. ist einem Rechtsanwalt und einem FamG in einem Ehescheidungsverfahren nicht aufgefallen, dass die vor einem griechisch-orthodoxen Geistlichen ohne ordnungsmäßige Ermächtigung geschlossene Ehe der früheren griechischen, jetzt deutschen Staatsangehörigen nach deutschem Recht unwirksam war, weil sie nicht den Voraussetzungen des § 15a EheG a.F. entsprach.
Erfordert der Auslandsbezug die Anwendung fremden Rechts, so liegt die Haftungsgefahr wegen eines Fehlers, ausgelöst durch die Sprachbarriere und mangelnde Kenntnisse des ausländischen Rechts, erst recht auf der Hand.
Rz. 69
Übernimmt der deutsche Rechtsanwalt – möglichst nach Prüfung der Versicherungsfrage (vgl. § 18 Rdn 1 ff.) – ein solches Mandat, so hat er sich grds. die zur Ausführung des Auftrags erforderlichen Kenntnisse des ausländischen Rechts zu verschaffen, sofern nicht ein beschränktes Mandat vorliegt, das bestimmte Fragen ausländischen Rechts von der Prüfung ausnimmt. So kann er z.B. beauftragt sein, Ansprüche aus einem ausländischem Recht unterliegenden Vertrag geltend zu machen, ohne die Wirksamkeit des von einem Anwalt aus diesem Rechtskreis formulierten Vertrags auf seine Gültigkeit prüfen zu sollen. Dann haftet er nicht, wenn der Anspruch wegen Unwirksamkeit des Vertrags nicht durchsetzbar ist.
Hat der Mandant allerdings – neben dem deutschen Rechtsanwalt – einen Anwalt des Landes bestellt, dessen Recht maßgeblich ist, so kann der deutsche Anwalt sich i.d.R. darauf verlassen, dass der ausländische Anwalt sein Heimatrecht kennt und beachtet; die Verpflichtung des deutschen Anwalts kann sich dann beschränken auf die Prüfung, ob der ausländische Anwalt hinsichtlich aller entscheidenden Punkte der Angelegenheit tätig war. Es bestehen dann getrennte Verantwortungsbereiche. Hat der Rechtsanwalt dagegen den ausländischen Anwalt selbst bestellt, und zwar nicht als Vertreter des Mandanten für diesen, sondern als Unterstützung für sich selbst, haftet er dem Mandanten für die von ihm übernommenen Fehler seines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB.
Für den Steuerberater gilt bei Mandaten, welche die Kenntnis ausländischen Steuerrechts voraussetzen, Entsprechendes.
Rz. 70
Ein Prozessmandat mit zivilrechtlichem Auslandsbezug verlangt zunächst die Kenntnis des deutschen Internationalen Zivilverfahrensrechts (Grundsatz der lex fori), das sich nach verstreuten Vorschriften im deutschen Recht, im Wesentlichen nach der ZPO, dem GVG und dem FamFG, aber – vorrangig – internationalen Verträgen bestimmt. Danach ist auch die Frage zu beantworten, ob die deutschen Gerichte für die Entscheidung des Streitfalles mit Auslandsberührung international zuständig sind; fehlt eine vorrangige staatsvertragliche Regelung, so richtet sich die internationale Zuständigkeit grds. nach der örtlichen Zuständigkeit.
Für die Mitgliedstaaten der EU ist jetzt insoweit die Brüssel Ia-VO (Nr. 1215/2012) v. 12.12.2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (auch genannt: EuGVVO n.F.) zu beachten; diese Verordnung ersetzt im Wesentlichen das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ; vgl. Art. 68 EuGVVO n.F.).
Das EU/EFTA Luganer-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 30.10.2007 gilt im Verhältnis der Mitgliedstaaten der EU zu den EFTA-Staaten. Es ist für die EU am 1.1.2010 in Kraft getreten.
Rz. 71
Ist ein zivilrechtlicher Streit mit Auslandsbezug vor einem deutschen Gericht auszutragen, so ist weiterhin die Kenntnis des Internationalen Privatrechts (IPR) erforderlich (Art. 3 bis 46 EGBGB). Die dazu gehörenden "Kollisionsnormen" bestimmen, welche Rechtsordnung das deutsche Gericht auf den Streitfall anzuwenden hat. Vorrang haben insoweit gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB die unmittelbar anwendbaren Regelungen der Europäischen Gemeinschaft in ihrer jeweils geltenden Fassung (insb.: die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – Rom II – und die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – Rom I) und völkerrechtliche Vereinbarungen (Staatsverträge), soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliche...