Rz. 107
Das anwaltliche Mandat aus einem echten Anwaltsvertrag mit Rechtsbeistandspflicht umfasst die Rechtsberatung und -vertretung bzgl. des Auftragsgegenstandes, grds. – mangels anderer Vereinbarung – aber nicht die Betreuung wegen außerrechtlicher Umstände, insb. nicht die Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen. So muss der Anwalt – bei reiner Rechtsberatung – den geschäftserfahrenen Mandanten nicht auf das Risiko eines Forderungsausfalls bei Kreditvergabe an eine Privatperson hinweisen.
Rz. 108
Die Rechtsbeistandspflicht aus einem echten Anwaltsvertrag verlangt vom Rechtsanwalt grds. nicht, wirtschaftliche Belange seines Auftraggebers umfassend wahrzunehmen. Auf der Hand liegende wirtschaftliche und praktische Zusammenhänge sind aber zu berücksichtigen. Dagegen ist der Anwalt nicht verpflichtet, derartige Umstände näher zu untersuchen und zu bewerten und die Rolle eines Unternehmers einzunehmen (näher vgl. Rdn 321). Vor der Erhebung einer Klage oder dem Abschluss eines Vergleichs wegen der Beteiligung an einem Fonds ist es nicht Aufgabe des Anwalts, dem Mandanten grundlegende Entschlüsse abzunehmen und die betriebswirtschaftliche Fragestellung des günstigsten Klageziels oder Vergleichsabschlusses zu bewerten, insb. welche Rendite künftig aus der Fondsbeteiligung des Mandanten zu erwarten ist. Es obliegt vielmehr dem Mandanten, selbst zu beurteilen, ob er das Aufrechterhalten der Fondsbeteiligung zu günstigeren Konditionen oder die Beendigung der Beteiligung als wirtschaftlich vorteilhafter erachtet. Es ist allgemein bekannt, dass ein Rechtsanwalt – anders als ein Steuerberater (§ 57 Abs. 3 Nr. 3 StBerG) und ein Wirtschaftsprüfer (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 WPO) – nach seiner Ausbildung und seinem gewöhnlichen Aufgabenbereich Rechtsberater, i.d.R. aber kein Wirtschaftsberater ist. Erteilt er dennoch im Rahmen einer vertraglichen Rechtsbeziehung wirtschaftliche Ratschläge, so geschieht dies grds. unentgeltlich und mit Haftungsrisiko. Selbstverständlich kann der Rechtsanwalt jedoch mit seinem Auftraggeber vereinbaren, wirtschaftliche oder andere außerrechtliche Belange seines Mandanten gegen Entgelt wahrzunehmen; eine solche Aufgabe kann sogar überwiegender oder ausschließlicher Gegenstand eines unechten Anwaltsvertrages sein, bei dem die Rechtsbeistandspflicht in den Hintergrund tritt (vgl. Rdn 1 ff.).
Rz. 109
Zwar hat das RG in einem – von den veröffentlichten Entscheidungsgründen nicht gedeckten – LS ausgesprochen, ein Rechtsanwalt sei auch Steuer- und Wirtschaftsberater der Partei (zur anwaltlichen Steuerberatung vgl. Rdn 29), davon gehe diese bei der Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts auch aus. Eine solche Erwartung hegt das Publikum jedoch nicht (vgl. Rdn 29).
In einer Entscheidung des BGH heißt es zwar, bei einem Prozessmandat müsse der Rechtsanwalt die mit dem Rechtsstreit unmittelbar zusammenhängenden rechtlichen und wirtschaftlichen Belange seiner Partei mit berücksichtigen. Diese Formulierung darf aber nicht überbewertet werden. In dem entschiedenen Fall ging es nicht um die Wahrnehmung rein wirtschaftlicher Interessen des Auftraggebers, sondern um die drohende Verjährung von Rechtsansprüchen des Mandanten, die bei einem Prozessverlust gegen Dritte bestehen konnten.
Rz. 110
Soweit der BGH von einem Rechtsanwalt verlangt hat, den Mandanten auf wirtschaftliche Gefahren hinzuweisen, handelte es sich um Ausnahmefälle, in denen die anwaltliche Vertragspflicht zur Schadensverhütung eine solche Aufklärung erforderte, um den Auftraggeber vor voraussehbaren und vermeidbaren Nachteilen zu bewahren (vgl. Rdn 129 ff.).
Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die wirtschaftliche Gefahr sich aus der Anlage und/oder Durchführung des anwaltlich betreuten Geschäfts des Auftraggebers ergibt. Soll ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten einen Leasingvertrag beenden, in dem fünf verschiedene Kündigungsmöglichkeiten mit jeweils unterschiedlichen "Ablösungsbeträgen" vorgesehen sind, so ergibt sich aus der Anlage dieses Vertrages die Pflicht des Rechtsanwalts, seinen Auftraggeber über die Möglichkeit einer ordentlichen Vertragskündigung zu belehren. Ein Rechtsanwalt – Fachanwalt für Steuerrecht –, der im Rahmen eines Steuerberatungsmandats seinem Mandanten zur Steuerersparnis den Kauf einer bestimmten – noch nicht vorhandenen – Eigentumswohnung empfiehlt, hat den Auftraggeber auf die Umstände hinzuweisen, die der Durchführbarkeit eines solchen Erwerbs entgegenstehen können. Hat der Mandant einem Interessenten in einer notariellen Urkunde die Veräußerung von Grundstücken unter einer Bindungsfrist mit Verlängerungsklausel angeboten, so ist der mit der Abwicklung der Angelegenheit beauftragte Rechtsanwalt, der von dem Angebot ohne Rücksicht auf die Verlängerungsklausel Abstand nehmen will, verpflichtet, seinen Auftraggeber über die Gefahren einer Schadensersatzpflicht und entgehenden Gewinns aufzuklären.
Die wirtschaftliche Gefahr, auf die ein Rechtsanwalt im Rahmen seiner Schadensverhü...