Rz. 284
Gem. § 278 Abs. 1 ZPO soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. In § 54 ArbGG ist ein gerichtliches Güteverfahren sogar zwingend vorgeschrieben; gem. § 15a EGZPO kann es von den Ländern vor dem ordentlichen Verfahren vor den Zivilgerichten in bestimmten Fällen obligatorisch vorgesehen werden. Die Prozessvollmacht erstreckt sich gem. § 81 ZPO u.a. auch auf die Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich. Allerdings kann die Prozessvollmacht insoweit gem. § 83 Abs. 1 ZPO im Anwaltsprozess mit Wirkung auch ggü. dem Gegner beschränkt werden. Den Rechtsanwalt, der seinen Auftraggeber in Vergleichsverhandlungen berät oder vertritt oder beim Abschluss eines Vergleichs mitwirkt, treffen dabei besondere Pflichten.
aa) Rechtsnatur und Wirksamkeit
Rz. 285
Ein in einem Rechtsstreit geschlossener Vergleich hat einen doppelten Rechtscharakter. Zum einen ist ein Vergleich eine Prozesshandlung, welche die Beendigung eines Rechtsstreits herbeiführt und deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet. Insb. muss die Partei in einem Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) beim Abschluss des Vergleichs von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt vertreten werden. Ein gerichtlich protokollierter Vergleich (§§ 160 ff. ZPO) begründet einen Titel, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Ein Vergleich muss inhaltlich – wie alle Vollstreckungstitel – hinreichend bestimmt sein.
Andererseits ist ein Vergleich ein privatrechtlicher Vertrag, für den die Vorschriften des BGB, insb. § 779 BGB, gelten. Ein gerichtlicher Vergleich ersetzt durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der ZPO errichtetes Protokoll nicht nur eine notarielle Beurkundung (§ 127a BGB), sondern auch alle anderen privatrechtlichen Formerfordernisse. Da die Prozesshandlung nur die "Begleitform" für einen materiell-rechtlichen Vergleich ist, verliert sie ihre Wirksamkeit, wenn der materielle Vergleich seinerseits unwirksam ist oder wird. Der Anwalt darf deshalb nicht zum Abschluss eines Vergleichs raten, der eine nichtige Verpflichtung enthält (z.B. Verpflichtung zur Errichtung eines Testaments, die nach § 2302 BGB nichtig ist), die ihrerseits im Zweifel die Unwirksamkeit der gesamten Vergleichsvereinbarung zur Folge hat (§ 139 BGB). Kommt hingegen wegen formeller Mängel ein Prozessvergleich nicht wirksam zustande, führt dies nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung. Die Vereinbarung kann als außergerichtlicher, materiell-rechtlicher Vergleich i.S.d. § 779 BGB Bestand haben, soweit dies dem hypothetischen Parteiwillen entspricht.
bb) Beratung oder Vertretung bei Vergleichsverhandlungen
Rz. 286
Die Pflicht, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringen will, findet eine besondere Ausprägung, wenn der Rechtsanwalt in Vergleichsverhandlungen eingeschaltet ist. Wegen der Eigenschaft eines Vergleichs als materiell-rechtlicher Vertrag sind insb. auch die Pflichten des Rechtsanwalts bei der Gestaltung von Verträgen zu beachten (vgl. Rdn 323–346). Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren.
(1) Entscheidung des Auftraggebers
Rz. 287
Die Entscheidung, ob ein Rechtsstreit durch Vergleich abgeschlossen oder fortgeführt wird, hat der Auftraggeber zu treffen. Daher ist der Rechtsanwalt grds. gehalten, sich der Zustimmung der Partei zu versichern, nachdem er diese ordnungsgemäß ...