Rz. 356
Die vorbeschriebenen allgemeinen und tätigkeitsbezogenen Pflichten, die ein Rechtsanwalt bei der Berufsausübung zu beachten hat, bezwecken den Schutz des Auftraggebers vor Vermögensschäden. Daneben hat ein Rechtsanwalt weitere Pflichten zu beachten, die vorrangig den Schutz anderer Rechtsgüter des Mandanten betreffen. Auch diese Pflichten ergeben sich v.a. aus dem Anwaltsvertrag, aus dem BGB, dem StGB, der BRAO, aus der anwaltlichen Berufsordnung (BORA), im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr insb. aus §§ 29a und 29b BORA. Die Berufsregeln der Europäischen Rechtsanwälte (CCBE) sind nicht mehr über § 29 BORA in die Berufsregeln integriert und deshalb nicht mehr Teil des deutschen Berufsrechts, können aber daneben zu beachten sein. Sie sind aber reines Verbandsrecht. Die einzelnen Rechtsquellen sind auseinanderzuhalten. Insb. können berufsrechtliche Pflichten nicht – was vielfach nicht hinreichend beachtet wird – ohne weiteres auf das Zivilrecht übertragen werden. Die einzelnen Pflichten werden im Folgenden in erster Linie vor dem Hintergrund der hier behandelten Haftung des Rechtsanwalts näher dargestellt. Nicht weiter eingegangen wird auf die Pflichten, ein Mandat zügig zu bearbeiten sowie den Mandanten über den Fortgang der Sache unverzüglich zu unterrichten (§ 11 BORA).
1. Verschwiegenheit
Rz. 357
Die Pflicht zur Verschwiegenheit ist eine der anwaltlichen Kardinalpflichten. So hat das BVerfG in dem viel beachteten Beschluss aus 1987 zu den für verfassungswidrig erklärten Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts betont, dass die Verschwiegenheitspflicht – ebenso wie das Verbot, widerstreitende Interessen wahrzunehmen (vgl. Rdn 369–383) – zu denjenigen Grundpflichten des Rechtsanwalts gehöre, deren Fortbestand zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege unverzichtbar sei. Die Verschwiegenheitspflicht begründet – neben der fachlichen Qualifikation des Rechtsanwalts – die Grundlage für dessen Beauftragung und das dem Rechtsanwalt entgegengebrachte Vertrauen. Diese Pflicht – und das entsprechende Recht zur Verschwiegenheit – trifft auch die Mitarbeiter und Berufshelfer des Anwalts (vgl. z.B. § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB, § 102 Abs. 1 Nr. 3b, Abs. 2 AO).
a) Rechtsgrundlagen
Rz. 358
Die Verschwiegenheitspflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Anwaltsvertrag. Berufsrechtlich enthält § 43a Abs. 2 BRAO (§ 2 BORA; § 57 Abs. 1 StBerG; § 62 StBerG; § 43 Abs. 1 WPO) eine gesetzliche Regelung. Die Pflicht des Rechtsanwalts zur Verschwiegenheit bezieht sich danach auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist. Eine Ausnahme macht das Gesetz lediglich für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. § 2 BORA konkretisiert § 43a Abs. 2 BRAO. In Abs. 2 wird insb. hervorgehoben, dass die Verschwiegenheitspflicht nach Beendigung eines Mandats (insb. auch nach dem Tod des Mandanten) fortbesteht. Nichts anderes gilt für die Verschwiegenheitspflicht aus dem Anwaltsvertrag. Gem. § 2 Abs. 4 BORA ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, seine Mitarbeiter und alle sonstigen Personen, die bei seiner beruflichen Tätigkeit mitwirken, ausdrücklich zur Verschwiegenheit zu verpflichten und anzuhalten. Entsprechendes gilt gem. § 62 StBerG für den Steuerberater.
Rz. 359
Eine besondere Ausprägung findet die Verschwiegenheitspflicht in §§ 203 bis 205 StGB. Nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich ein Rechtsanwalt (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) strafbar, der unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart, das ihm als Rechtsanwalt (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. § 203 Abs. 4 StGB betont ausdrücklich, dass die Strafbarkeit durch den Tod des Betroffenen nicht ausgeschlossen wird. Nach dem Tod des Beraters trifft die Verschwiegenheitspflicht denjenigen, der das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dem Nachlass erlangt (§ 203 Abs. 3 Satz 3 St...