Rz. 499
Zur Beantwortung der Frage, welche Rechtsfolgen die mit Gesetz vom 2.9.1994 eingeführte und am 9.9.1994 in Kraft getretene Vorschrift des § 49b Abs. 4 BRAO und deren Novellierung im Jahr 2007 für die Abtretung anwaltlicher Vergütungsforderungen hat, ist zunächst der zuvor geltende Rechtszustand darzustellen, an den die Neuregelung anknüpfen will.
1. Vor Einführung des § 49b Abs. 4 BRAO
Rz. 500
Im Anschluss an seine Rechtsprechung zur Abtretung ärztlicher Honorarforderungen und zur Weitergabe einer ärztlichen Patienten- und Berufskartei hat der BGH entschieden, dass die Abtretung der Honorarforderung eines Rechtsanwalts (§§ 398, 675 BGB) ohne Zustimmung des Mandanten i.d.R. den objektiven Tatbestand der – das Privatgeheimnis schützenden – Strafvorschrift des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt, weil mit der Abtretung die umfassende Informationspflicht des § 402 BGB ggü. dem neuen Gläubiger verbunden ist. Deshalb waren sowohl das schuldrechtliche Grundgeschäft der Forderungsübertragung als auch die Abtretung als dingliches Erfüllungsgeschäft gem. § 134 BGB nichtig. Dadurch wurde dem durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Recht des Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen. Dies galt selbst dann, wenn es später tatsächlich nicht erforderlich war, der anwaltlichen Schweigepflicht unterliegende Tatsachen zu offenbaren. Dagegen ergaben sich keine Bedenken aus Art. 14 GG.
Rz. 501
Die Abtretung der anwaltlichen Honorarforderung war auch dann nichtig, wenn sie an Steuerberater derselben Sozietät oder an einen anderen Rechtsanwalt erfolgt war, und zwar auch dann, wenn der Vergütungsanspruch bereits rechtskräftig festgestellt wurde.
Rz. 502
Der Rechtsanwalt darf seine Honorarforderung, deren Berechtigung vom Mandanten bestritten wird, "als letztes Mittel" – auch durch einen anderen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten – gerichtlich geltend machen, selbst wenn dabei ein Geheimnis des Auftraggebers offenbart werden könnte (vgl. Rdn 431). Das Geheimhaltungsinteresse des Mandanten muss dann nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinter die Vermögensbelange des Rechtsanwalts zurücktreten, weil dieser sonst rechtlos stünde. Dies hat auch dann zu gelten, wenn ein Sozietätsanwalt eine den Sozietätsanwälten zur gesamten Hand zustehende Vergütungsforderung geltend macht.
Rz. 503
Eine Bestimmung in einem Vertrag zur Übernahme einer Anwaltskanzlei, die den Veräußerer auch ohne Einwilligung der betroffenen Mandanten verpflichtet, seine Akten dem Erwerber zu überlassen, ist nichtig.
Wirksam ist allerdings die ohne Zustimmung des Mandanten vorgenommene Abtretung einer anwaltlichen Vergütungsforderung (vgl. auch Rdn 506)
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an den Erwerber einer Anwaltskanzlei, der zuvor als Mitarbeiter des Zedenten die Angelegenheiten des Mandanten umfassend kennen gelernt hatte; |
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an den bereits vor der Abtretung bestellten Abwickler der Kanzlei des Zedenten; |
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an den Erwerber einer Anwaltskanzlei, der in die bisher bestehende (Außen-)Sozietät eintritt, während der Veräußerer als freier Mitarbeiter für eine Übergangszeit tätig sein soll. |
2. Nach Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO
Rz. 504
Nach dieser am 9.9.1994 in Kraft getretenen Vorschrift ist ein Rechtsanwalt, der eine Gebührenforderung erwirbt, in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der beauftragte Rechtsanwalt (§ 49b Abs. 4 Satz 1 BRAO); die Abtretung von Gebührenforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an einen nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Dritten ist unzulässig, es sei denn, die Forderung ist rechtskräftig festgestellt, ein erster Vollstreckungsversuch ist fruchtlos ausgefallen und der Rechtsanwalt hat die ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten eingeholt (§ 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO). Entsprechende Regelungen enthalten § 64 Abs. 2 StBerG und § 55a Abs. 3 WPO.
Rz. 505
Der Zweck der neuen Regelung erschließt sich hinreichend aus deren Entstehungsgeschichte. § 49b Abs. 4 Satz 1 BRAO ist ...