Prof. Dr. Martin Henssler
Rz. 11
Aufgrund der engen Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG ließ sich inhaltlich gegen den neuen Regelungsvorschlag wenig einwenden. Verunglückt war jedoch die redaktionelle Gestaltung, weil zweimal Sätze mit "Arbeitnehmer ist, […]" begannen, dann aber unterschiedliche Aussagen folgten. § 611a S. 2 BGB-RegE umschrieb das Weisungsrecht des Arbeitnehmers, das sich auf Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit beziehen sollte. Zwar handelte es sich auch hierbei um die wortwörtliche Wiedergabe der Rechtsprechung. Der Regelungsvorschlag war aber berechtigter Kritik ausgesetzt, weil er weder mit § 106 GewO noch mit § 84 HGB abgestimmt war. Lediglich in der Begründung des Regierungsentwurfs fand sich der Hinweis, dass andere Rechtsvorschriften von § 611a BGB unberührt bleiben sollten, soweit sie eine abweichende Definition des Arbeitnehmers, des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses vorsehen, um einen engeren oder weiteren Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften festzulegen. Im Gesetzestext fand sich die entsprechende wichtige Klarstellung dagegen nicht. Der Hinweis in der Begründung klärte zudem das gegenseitige Verhältnis der nicht wortgleichen Vorschriften nicht hinreichend. So lautet die Formulierung in § 106 GewO:
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
Die Regelung des § 106 GewO bezieht das Weisungsrecht somit nur auf drei Merkmale: Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung. Weniger bedeutsam dürfte der in der Gesetz gewordenen Fassung verbliebene Verzicht auf den selbstverständlichen Umstand sein, dass das Weisungsrecht nur innerhalb der Grenzen des Arbeitsvertrages, von Kollektivvereinbarungen sowie gesetzlichen Vorschriften ausgeübt werden kann, da man dies auch in § 611a BGB nicht anders verstehen kann. Das Gleiche gilt für den Verzicht auf die Grenze des billigen Ermessens.
Rz. 12
Bei einer Gesamtschau blieb damit nicht nachvollziehbar, weshalb die Entwurfsverfasser, wenn sie denn schon den Status quo nur niederschreiben wollten, § 106 GewO und § 611a BGB-E nicht aneinander anglichen und das Verhältnis der beiden Normen zueinander unmittelbar im Gesetzestext klärten.
§ 106 GewO |
§ 611a S. 2 BGB-Entwurf |
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind |
Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. |
Hinzu kam, dass § 84 HGB eine wiederum inhaltlich abweichende Definition der Selbstständigkeit kennt. Die gesetzliche Klärung der Grenzziehung zwischen Arbeitnehmerstatus und selbstständiger Tätigkeit konnte daher nach dem geplanten Reformkonzept nur als unbefriedigend bezeichnet werden.
Rz. 13
Besser gelungen waren dagegen die Sätze 4 und 5 des § 611a BGB-RegE, die dementsprechend auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren unverändert geblieben sind (nunmehr als § 611a Abs. 1 S. 5 und 6 BGB). In S. 4 wurde die ständige Rechtsprechung des BAG aufgegriffen, wonach die Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses von anderen Vertragsverhältnissen im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Diese Gesamtbetrachtung im Sinne einer typologischen Methode ist in der Tat ein unverzichtbares Kernelement des Arbeitnehmerbegriffs. Gleiches galt für die in Satz 5 enthaltene Klarstellung, dass bei einem Widerspruch zwischen Vertrag und tatsächlicher Durchführung für die rechtliche Einordnung als Arbeitsverhältnis allein die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgebend ist.