Prof. Dr. Martin Henssler
Rz. 16
§ 611a Abs. 1 S. 1 BGB legt seit dem 1.4.2017 fest, dass der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet wird.
Damit wird mittelbar zugleich der Arbeitnehmerbegriff definiert. Arbeitnehmer ist folglich, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. S. 2 ergänzt, dass das Weisungsrecht Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen kann. Damit ist im Grunde der Inhalt des S. 3, nach dem zugleich im Umkehrschluss zu § 84 HGB als weisungsgebunden derjenige erklärt wird, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, schon vorweggenommen. S. 4 nimmt Bezug auf die in Satz 1 bereits als zentrales Merkmal vorgegebene persönliche Abhängigkeit und stellt klar, dass diese auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit abhängt. Gemeint sind damit auch solche Besonderheiten oder Eigenarten einer Tätigkeit, die sich etwa in Branchen und Bereichen ergeben, die Spezifika aufgrund grundrechtlich geschützter Werte aufweisen (wie zum Beispiel aufgrund der Rundfunk-, Presse- oder Kunstfreiheit). In § 611a Abs. 1 S. 5 BGB wird die ständige Rechtsprechung des BAG aufgegriffen, wonach die Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses von anderen Vertragsverhältnissen im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es gemäß S. 6 auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Auch dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG.
§ 611a Abs. 2 BGB vervollständigt die Regelung des Arbeitsvertrages – entsprechend der Systematik des Besonderen Schuldrechts des BGB – um die zentrale Vertragspflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung.
Rz. 17
Der Gesetzgeber hat mit § 611a BGB keine eigenständige Neuregelung des Arbeitsvertrages und des Arbeitnehmerbegriffs angestrebt, sondern lediglich eine Kodifizierung der nationalen Rechtsprechung im Sinne eines aus dem US-amerikanischen Recht bekannten "Restatements" vorgenommen. Die Beibehaltung der bisherigen Rspr.-Grundsätze hat das BAG seit Inkrafttreten des § 611a BGB bereits mehrfach bestätigt.
Rz. 18
Gleichwohl ist ungewiss, ob § 611a BGB nicht langfristig doch eine gewisse Verschiebung der bisherigen Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbstständigen bewirkt. Streiten lässt sich insbesondere um die Bedeutung des entgegen dem ersten Entwurf nicht mehr explizit in § 611a BGB aufgenommenen Merkmals der Eingliederung. Zwar gab es gute Gründe in § 611a BGB auf die Eingliederung als selbstständiges Merkmal zu verzichten. So behandelt auch die Rechtsprechung das Kriterium der Eingliederung nicht als ein selbstständiges Kriterium neben der persönlichen Abhängigkeit (vgl. hierzu auch Rdn 3). Unbefriedigend bleibt aber, dass das Merkmal in anderen Vorschriften wie in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG und § 7 Abs. 1 SGB IV fortlebt, und zwar sogar als wesentliches Kriterium. Nach richtigem Verständnis kommt der Eingliederung keine generelle eigenständige Bedeutung zu. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber befugt ist, arbeitsbezogenen Weisungen hinsichtlich des Inhalts der Tätigkeit zu erteilen. Fehlt es an solchen ausdrücklichen Weisungen, kann sich die entsprechende persönliche Abhängigkeit aber ersatzweise auch aus einer Eingliederung in die Betriebsorganisation ergeben. So ist auch das BAG der Auffassung, dass bei untergeordneten, einfachen (manuellen/handwerklichen) Arbeiten einer Eingliederung eine erhöhte Bedeutung zukommt. Bei einfachen Tätigkeiten bestehen nämlich von vornherein nur geringe inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten, so dass sich tägliche Weisungen erübrigen können. Umgekehrt kann bei anspruchsvollen Tätigkeiten, insbesondere im Wissensbereich, trotz Eingliederung eine hinreichende Autonomie des Beschäftigten bestehen, so dass eine Qualifizierung als Arbeitnehmer ausscheidet.
Rz. 19
Insgesamt hat die Neuregelung damit neue Unsicherheit gebracht und kein einziges Problem gelöst. Nicht bewältigt wurde auch die zugegebenermaßen schwierige Aufgabe einer Harmonisierung mit dem Unionsrecht. Neben § 611a BGB muss daher in vielen Fällen weiterhin das unionsrechtliche Verständnis berücksichtigt werden, soweit die maßgebliche Vorschrift auf Unionsrecht beruht. Zur Lösung des eigentlichen Kernproblems des deutschen Arbeitsrechts trägt die Vorschrift nichts bei. Die Anknüpfung an einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff mit seinem "Alles-oder-Nichts"-Prinzip wird nämlich der wachsenden Vielfalt der Beschäftigungsformen nicht mehr gerecht. Die Entgrenzung von Arbeitszeit und Arbeitsort und der Wunsch vieler Beschäftigten, insbesondere in der wachsenden IT-Branche, nach mehr Autonomie und Eigenständigkeit führt zur Entstehung neuer Beschäftigungsformen, d...