Rz. 22

Ständiger, nunmehr durch § 611a Abs. 1 S. 6 BGB bestätigter Rechtsprechung entspricht es, dass der Bezeichnung des Vertrages nur eine indizielle Wirkung zukommt. Abzustellen ist auf die tatsächliche Durchführung, wobei bei einer Diskrepanz zwischen Vereinbarung und tatsächlicher Durchführung Letztere maßgebend ist.[36] Das BAG begründet den Vorrang damit, dass sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragspartner ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben.[37] Dies bedeute aber nicht, dass die Bezeichnung der Vertragsform nun vollständig bedeutungslos wäre. Kann die vertraglich vereinbarte Tätigkeit typologisch sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch selbstständig erbracht werden, ist die Entscheidung der Vertragsparteien für einen bestimmten Vertragstypus im Rahmen der bei jeder Statusbeurteilung erforderlichen Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.[38] So ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber neben dem Arbeitsverhältnis ein Dienstverhältnis begründet.[39] Ohnehin ist die tatsächliche Durchführung nur dann vorrangig zu beachten, wenn die Parteien ein Vertragsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis, sondern z.B. als freies Dienstverhältnis bezeichnen, der Beschäftigte jedoch tatsächlich weisungsgebundene Tätigkeiten verrichtet. Im umgekehrten Fall der Bezeichnung einer freien Mitarbeit als Arbeitsvertrag steht es der Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht entgegen, wenn der Arbeitgeber sein Weisungsrecht gar nicht ausübt und der Arbeitnehmer "frei" wie ein Selbstständiger arbeitet.[40] Die "Falschbezeichnung" ist in diesem Fall schlicht bedeutungslos.

[36] BAG v. 8.6.1967 – 5 AZR 461/66, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 6.
[37] BAG 18.1.2012 – 7 AZR 723/10, AP AÜG § 9 Nr. 10 Rn 28.
[38] BAG v. 9.6.2010 – 5 AZR 332/09, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 121 Rn 19; BAG v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 128 Rn 22.
[40] BAG v. 25.1.2007 – 5 AZB 49/06, AP SGB II § 16 Nr. 1.

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